Tag 5: Leinen los oder „Oh, große Freiheit!“

Jedes Ende eines Aufenthaltes ist der Beginn eines anderen… (Gerry ibn Gerry ben Gerry)

Ihr Lieben,

was kann man an Land unternehmen, wenn man ausschlafen möchte, an einer verpflichtenden Sicherheitseinweisung teilnehmen muss, frühstücken will und der Shuttlebus in die Stadt eine halbe Stunde hin und eine weitere zurück benötigt und dann das Schiff auch noch um 12 Uhr abzulegen gedenkt? Irgendetwas bestimmt, aber ich entschied mich, an Bord zu bleiben. Die Krux bei Kreuzfahrten ist, dass es eben Ankunfts- und Abfahrtszeiten gibt.

Das Frühstück auf meinen letzten Kreuzfahrten wurde im Hauptrestaurant immer quasi an den Tisch gebracht. Man suchte sich ein Thema aus, Fischteller oder Käseteller z.B., und alles wurde gebracht. Das war vielleicht Corona geschuldet, auf jeden Fall saß ich eine Weile dumm im Restaurant herum, aber außer dem Kaffeemann kam erst einmal niemand. Irgendwann kreuzte ein Mann mit Orangensaft auf, „Vitamine, Vitamine!“ plärrend, dem ich ein Glas Orangensaft abnahm, was er mir dann in Rechnung stellte. Huch, nicht alles ist inklusive. Ich fand dann heraus, dass es um die Ecke ein Buffet gab, wo ich mich bedienen sollte und konnte. Nur Kaffee, Spezialeierspeisen sowie erwähnter, kostenpflichtiger Orangensaft wurden an den Tisch gebracht. Aber ich kann mich nicht beschweren, alles, was man braucht, ist vorhanden.

Um 11 Uhr schloss ich mich einer Schiffsbesichtigung an. Uns wurden die Bars und Restaurants erklärt, was ist umsonst, was kostet etwas, die Galeristin und der Fitnesstrainer durften ihr Berufsbild erläutern, Schleichwege wurden preisgegeben und verraten, wo es die Wasserauffüllspender gibt. Es sind etwa 2540 Passagiere an Bord, 300 mehr wären noch möglich, zudem haben ein paar das Schiff nicht rechtzeitig erreicht.

Wir legten eine halbe Stunde zu spät ab (die Auslaufmusik hieß „Oh, Große Freiheit“ und war eher schlagerlastig), weil auch noch sehr viele  Koffer fehlten, von denen aber bekannt war, dass diese schon auf dem Weg zum Schiff waren. Letztere Information hatte ich von zwei Frauen, mit denen ich zusammen bei Gosch, dem Fischrestaurant, zu Mittag gegessen hatte. Deren Reisegruppe aus 12 Personen war nämlich davon betroffen und es war nur einem GPS-Tracker in einem der Koffer eines Mitreisenden zu verdanken, dass man die Koffer am Flughafen orten konnte. Ich glaube, ich kaufe mir auch so etwas, ich kenne ausreichend Horrorgeschichten von verlorenen Koffern und Reisen in Notfallkleidung.

Die große Gruppe ist übrigens hier, um eine Hochzeit auf See und auch den Geburtstag der Braut zu feiern. Ich finde das total nett. Was ich auch noch von den beiden erfuhr (auch, da offensichtlich in einem TUI-Reiseforum angemeldet) ist, wie abenteuerlich stellenweise die Anreise von der Reederei organisiert wurde, mit Umstieg in London, z.B. und An- oder Abreisen zu Unzeiten. Einige der Passagiere, die das Schiff verpasst haben, waren auf Umsteigestrecken unterwegs. Ich bin im Nachhinein sehr froh, dass ich meine Flüge selbst organisiert habe. Es war ein nettes Geplauder, die Schwiegermutter in spe ist eine weitgereiste Person, die Schwester der Braut zum ersten mal mit Schiff unterwegs. Die Bouillabaisse war übrigens super!

Wir hatten uns ein bisschen verquatscht, also hastete ich zum Theater, wo ich um 15 Uhr gerade noch rechtzeitig zum Lektorat über den Oman ankam. Ein hochaufschlussreicher Vortrag über das Sultanat war das, super vorgetragen. Ernste Fakten locker präsentiert von einem augenscheinlich noch jungen Mann, der aber über enormes Wissen über die Region zu verfügen scheint.

Um 17 Uhr besuchte ich dann eine Lesung. „Geschichten über das Scheitern“, präsentiert von Victoria Wiener. Das war ganz nett und auch gut vorgetragen. Verpasst habe ich dadurch allerdings den Alleinreisenden-Treff und somit höchstwahrscheinlich die Chance, den Mann meines Lebens kennenzulernen. Naja, Shit happens.

Apropos Mitreisende, ob nun alleine, als Paar oder Gruppe: Das Publikums an Bord ist teilweise schon sehr interessant, es unterscheidet sich irgendwie auch etwas vom Phoenix-Standardpassagier. Einige laufen in besorgniserregender Couture umher. Ihr wisst, dass ich nicht rasend viel Wert auf Kleidung lege, aber wenn bestimmte Körperteile oder Bepelzungen aus der stofflichen Umhüllung rauslugen, finde ich das unappetitlich. Meinen zweiten Kaffee nahm ich in einer Lounge-Bar oberhalb der Kapitänsbrücke ein, wo ein entweder sehr verschwitzter oder aber nasser älterer Herr sich in zu locker sitzendem Bademantel an die Theke setzte. Ehrlich, das ist doch einfach nur noch Igitt.

Bei der Schiffsführung war wieder der übliche Besserwisser dabei (eine Dame, die die Fragen beantwortete, die dem Bordmitarbeiter gestellt wurden), bei der Sicherheitseinweisung eine aufgetakelte Gräfin, die laut quer durch den Raum krakeelte, man möge gegenüber doch bitte leise sein, man wolle die Einweiserin verstehen, um sodann ungeniert mit ihrem Mann zu plaudern.
Der Poolbereich mit den beiden zugehörigen Bars ist proppenvoll, hier ist Fleischpräsentation ja gesellschaftlich akzeptiert, aber der Anblick ist eher Hieronymus Bosch als Sandro Botticelli. Leider gibt es dort auch hauptsächlich nur Liegen (davon offensichtlich viele „reserviert“) und keine etwas abgegrenzten Sitzbereiche. Und natürlich gibt es nette, gesittete und unterhaltsame Menschen, mit denen man entspannt plaudern kann.

Zum Abendessen fand ich mich in einer Schlange vor dem Atlantik-Restaurant ein. Es war recht voll. Ob ich bereit wäre, mich mit der Gruppe hinter mir an einen 6er-Tisch zu setzen. Ich drehte mich um und fragte die vier Männer hinter mir, ob sie sich benehmen können würden und sie erwiderten, schlechtes Benehmen ihrerseits sei ja mein und nicht ihr Problem. Es war ein sehr amüsantes und interessantes Abendessen. Zwei aus Köln, zwei aus dem Ruhrgebiet, alle kennen sich schon lange und kreuzfahren wie wild durch die Weltgeschichte. Sehr sympathisches Quartett.

Im großen Theater wollten sich nach dem Abendessen die leitenden Offiziere vorstellen. Der Kapitän begann. Ehrlich, der hätte auch Comedian werden können, das Publikum hat sich schlapp gelacht. Der Chef der Küchencrew stand ihm kaum nach. Und als der Schiffsarzt gerade übernehmen wollte, erscholl eine codierte Alarmdurchsage, woraufhin zwei Drittel der Offiziere ein bisschen zu fluchtartig die Bühne verließen. Der Kapitän beruhigte den Saal, scherzte ein wenig herum, musste dann aber fünf Minuten später auch gehen. Unruhe erfasst das Publikum. Rufe, was denn los sei, wurden laut. Ich dachte übrigens spontan an jemenitische Piraten. Die Show ging weiter. Phantom der Oper, Akrobatik, Turandot-Arie. Wie wir später per Durchsage erfuhren, gab es eine Störung an der  Müllverbrennungsanlage. Und was wurde uns schon während der Sicherheitseinweisung eingetrichtert? Nicht jemenitische Piraten sind die größte Bedrohung für ein Schiff, sondern Brände.

Meinen Absacker nahm ich am Pool, wo ein Duo aus Gitarre und Stimme R&B-Klassiker performte, und das auf sehr hohem Niveau.
Insgesamt ein sehr schöner Tag, auch gerade, weil wir es nicht in der BILD auf das Titelblatt geschafft haben.

Morgen dann schreibe ich den Oman meines Lebens, verzichte dabei aber dann auf schlechte Wortwitze. Oder vielleicht auch nicht.
Ich freue mich auf Eure virtuelle Begleitung im Land der angeblich besten Datteln, das so gar nichts mit der Muskatnuss zu tun hat und – obwohl Sultanat – auch nichts mit der Erfindung der Sultaninen.

Liebe Grüße, Euer Gerry

Der Autor an seinem unbezahlten Arbeitsplatz

2 Gedanken zu „Tag 5: Leinen los oder „Oh, große Freiheit!““

  1. 🤣 schade Gerry, hätte mich sehr für dich gefreut, wenn Du den Mann deines Lebens per Zufall dort getroffen hättest.
    Aber was nicht ist kann ja noch werden😄

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