Tirana – Der Mann in den Bergen (und dann wieder im Tal)

Ihr Lieben,

ein bisschen musste ich schon überlegen, ob ich euch dieses Ereignis erzählen soll. Gegen 5 Uhr morgens klingelte mein Handy, ich setzte mich abrupt im Bett auf, dann sprang der Lattenrost aus seiner Führung, um mich völlig verdattert und mit einem Puls von 120 dem Erdkern noch ein wenig näher zu bringen als gestern. Ich hatte den berühmten Schreck meines Lebens. Es ließ sich natürlich alles sehr einfach wieder zusammenbauen und als ich fünf Minuten später alles wieder gerichtet hatte, setzte der Muezzin zu seinem Gebetsruf an. Was sagt mir das bezüglich meines waghalsigen Vorhabens, mit der Seilbahn zu fahren? Ach, ich weiß es doch auch nicht. Den Rest der Nacht verbrachte ich dann eher unruhig. Geklingelt hatte übrigens meine Überwachungskamera daheim, die eine Fliege oder Motte erfasst hatte. Na, wenigstens funktioniert sie.

Das Frühstück nahm ich morgens bei prächtigstem Wetter auf der Straßenterrasse des Hotels ein. Filterkaffee und Eggs Benedikt. Weltpremiere, denn die hatte ich noch nie. Ist aber wegen der Hollandaise etwas gewöhnungsbedürftig, wie ich finde.

DIe Taxifahrt zur Seilbahnstation war recht abenteuerlich. Der Taxistand ist quasi vorm Hotel, und als ich einstieg und mein Ziel nannte, schien der Fahrer sehr erfreut und drückte aufs Pedal. Leider vergaß er, den Taxameter anzustellen. Als ich ihn daraufhin ansprach, tat er natürlich so, als würde er mich nicht verstehen. Ich sagte Stopp, er stoppte, holte 1200 Lek aus der Tasche und wedelte resigniert damit vor meinem Gesicht rum. Mit dem Fahrpreis war ich einverstanden (regulär wären es ca. 15 Euro gewesen) und so konnten wir unsere Fahrt fortsetzen. Unbeschadet der Tatsache, dass viel Verkehr herrschte, hupte er wie wild und schlängelte sich rechts und links an den Wagenkolonnen vorbei, gerne auch mal ein Stoppschild oder eine rote Ampel ignorierend. Am Ende gab ich ihm dann 1300 Lek und es fehlte nicht viel, fast hätte er einen Freudentanz aufgeführt. So haben der alte Gauner und ich (auch irgendwie ein alter Gauner) beide gespart.

Ihr Lieben, ich weiß nicht, welche Art von Todessehnsucht mich immer dazu treibt, Seilbahnen oder Sessellifte zu besteigen. Insbesondere die von Tirana hat es in sich, die Fahrt dauert ewig und drei Tage, es herrschen Abstände zwischen den Pylonen, die möchte man sich nicht im Traum vorstellen, kurzum: eine Fahrt des Grauens! Gerne hätte ich die Ausblicke genossen, aber ich war zu fokussiert darauf, nicht in Ohnmacht zu fallen. Ganz schlimm wurde es, als ich glaubte einen Piepton zu hören, ALARM!, es stellte sich dann als irgendein merkwürdig kreischender Vogel heraus.

Von oben hat man dann spektakuläre Ausblicke, es lohnt sich daher wirklich, 1000 Tode zu sterben. Spektakulär! Spektakulär!!! Oben gibt es ein Hotel, es gibt Wanderwege, es gibt eine Paraglidingstation (das ist mir definitiv ein Fünkchen zu viel), Restaurants, ein lost place in Form eines verlassenen Hotels, Aussichtspunkte natürlich, eine Minigolfanlage, man kann Quad fahren oder auf Leute schießen. WAS? Ja, es gibt Schießstände, einige mit Flaschen oder Ballons, aber auch mit Schaufensterpuppen. Das finde ich ehrlich gesagt mehr als befremdlich.

Ich lief ein bisschen herum, genoß die Sonne auf dem kühlen Berg, trank einen Kaffee und trat dann die Talfahrt an. Herrjeh, es war ein wenig windig und die Kabine schaukelte ziemlich. Aber meine Höhenangst wird immer schlimmer und ich vermute, dass ich, wenn ich mich nicht ständig überwände, inzwischen nicht mehr problemlos auf einem Schwebebalken für Vorschulkinder sitzen könnte.

Im Tal angekommen machte ich mich zu Fuß auf zum BUNK’ART, einem unterirdischen Museum für Geschichte und moderne Kunst. Enver Hoxha hat schätzungsweise 170.000 Bunker in Albanien errichten lassen, seine Angst vor einem Krieg nach der Lossagung von Russland war offensichtlich sehr groß. Diese Bunker haben ein Vermögen verschlungen, heute weiß man nicht, was man damit tun soll. Einige dienen der Champignonzucht, andere als Lager, hier in Tirana 2 als Museum. Man muss es sich vorstellen: Je ein Bunker für 11 Bewohner damals!

Am Eingang des Museums wird darauf hingewiesen, dass der Besuch nichts für Klaustrophobiker ist. Manch einer wäre also vom heutigen Programm doppelt herausgefordert, ich bin gottseidank nur in gläsernen Aufzügen klaustrophobisch. Fotografieren und filmen sind eigentlich nicht erlaubt, ich habe dennoch ein paar Bilder gemacht (wie alle anderen Besucher auch), die allerdings nicht wiedergeben können, wie bedrückend so ein Bunker sein kann. In sehr vielen Räumen gibt es Informationen zur Geschichte Albaniens unter dem italienischen Faschismus, unter der deutschen Besatzung und der kommunistischen Ära. Vor allem Fotos und Dokumente sowie Nachbildungen von Kommandozentralen, Schlafräumen, Konferenzimmern, aber auch eines für die Zeit üblichen Wohnzimmers werden gezeigt. Ein halbes Dutzend moderne, mehr oder weniger künstlerische Installationen unterbrechen die Ausstellungsräume, die Hälfte davon habe ich allerdings nicht verstanden. Die Anlage ist ziemlich weitläufig, es gibt deutlich mehr zu erlaufen, als z.B. beim Regierungsbunker an der Ahr.

Zurück in die Stadt wollte ich dann den Bus nehmen. Nun ist es so, dass es meistens keine klassischen Bushaltestellen gibt. Zumindest hat nicht jede eine Beschilderung. Man muss raten, wissen oder einen Bus davonfahren sehen, um sich dann genau dort hinzustellen, um auf den nächsten zu warten. Eine Fahrt kostet umgerechnet 40 Cent, das Fahrgeld wird ganz klassisch noch von einem Ticketverkäufer eingesammelt. Das finde ich sehr sympathisch! Und vor allen Dingen zeigte der Mann eine unglaubliche Gedächtnisleistung, denn er erkannte auf Anhieb, wer zugestiegen war, obwohl es mehrere Türen gibt.

Ich fuhr bis zur Station Biblioteka, dem zentralen Busbahnhof, um von dort aus weiter zum Stadion zu fahren, weil ich den großen Park mit seinem See besuchen wollte. Ein hoffnungsloses Unterfangen, sich dort zurechtzufinden. Es gab zwar Ticketschalter, an denen man hätte fragen können, aber davor drängelten sich Menschentrauben unvorstellbaren Ausmaßes. Also weiter per pedes. Auf dem Weg machte ich einen kleinen Abstecher in die Et’hem Bey-Moschee, die zwar sehr klein, dafür aber außerordentlich hübsch ist. Gerade die Innendekoration ist besonders kunstvoll.

Gegen 15 Uhr kam ich dann am See an und es wurde es nach einem kurzen Rundgang Zeit für ein kleines Bier. Direkt am Ufer liegt ein sehr hübsches Lokal, in dem es dann sogar Tirana-Bier gab. Muss man dann ja. Der Park ist sehr nett, es gibt ein chinesisches Häuschen, ein Amphitheater, diverse Lokale, Spiel- und Sportplätze; offensichtlich, gemessen an der Zahl der Besucher, ist es ein beliebter Naherholungsort. Auch eine Bimmelbahn stand bereit, allerdings wollte der Fahrer nur mit mindestens 10 Passagieren losfahren. Wir waren bei meinem Eintreffen zu viert. Ich schenkte es mir.

Während ich dort so saß und auf den See starrte, erhielt ich eine Nachricht, ich könne für den Rückflug einchecken. Ich mache es kurz, ich konnte nicht. Also schrieb ich an CHECK24 eine Mail, dass ich nicht weiterkäme. Diese schrieben mir zurück, ich möge mich bitte an Aurumtours wenden, sie hätten aber auch einen anderen Buchungscode für mich. Nach Deutschland zu telefonieren, kam mir jetzt nicht in den Sinn, und der andere Buchungscode funktionierte auch nicht. So macht Reisen Spaß! Ich schrieb eine weitere Mail an Aurumtours. So kann man auch seine Zeit verbringen…

Ich erkundete weitere Teile des Parks, lief ein bisschen am Seeufer entlang und nahm an der Akademie der Künste einen weiteren Bus, zurück in die Stadt. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie heiß es inzwischen geworden war. Etwa jemand neidisch? Koli sagte mir gestern übrigens, jetzt und im April wären die besten Reisezeiten für Tirana.

Ich besuchte endlich den Basar, der nicht ganz so ausgestorben war wie gestern, und nahm u.a. an einer Weinprobe für eine Person teil, bei der ich die Weine aus dem Plastikverschluss der Plastikflasche, in dem der jeweils kostbare Tropfen lagerte, trinken sollte. Ich hoffe inständig, dass kein Kunde vor mir Herpes oder Schlimmeres hatte. Ganz schlecht war der Wein dann nicht, aber der Händler wollte mich beim Preis gehörig über den Tisch ziehen, da suchte ich eilends das Weite. Er rief mir noch einen wesentlich günstigeren Preis hinterher, aber da war ich schon angenervt. Sorry, ich kann das einfach nicht, auf Basaren handeln. Ich mag Preisschilder. Sehr gerne sogar.

Ich kehrte zum Hotel zurück, setzte mich auf die Terrasse und bestellte einen Rotwein. Irgendwann hat man ja auch mal Urlaub, man muss ja nicht die ganze Zeit durch die Gegend rennen. Und während ich da so sitze und an meinem Weinchen schlabbere, erreicht mich die E-Mail der Hotel-Managerin Katie, sie hätten keinen Vertrag mit Aurumtours, ich müsse die Rechnung vor Ort begleichen und mir das Geld zu Hause zurückholen. Diese Nachricht habe ich auch umgehend an Aurumtours weitergeleitet, mit der Bitte um Klärung. Aber ich bin schon ziemlich angepisst!

Es gingen dann mehrere E-Mails hin und her, ohne, dass es zu einer Klärung kam. Bei einer so kurzen Reise dann mehrere Stunden mit solchen Problemen zu verschwenden, ist schon eher zum Brechen, und damit meine ich nicht das Brot des Friedens. Ich bin gespannt, wie es morgen weitergeht.

Mein Abendessen nahm ich wieder in einem Lokal mit einheimischer Küche ein. Diesmal tischte man mir, natürlich nach Rücksprache, einen Innereienauflauf und Ofenschmorfleisch auf. Das war eigentlich alles ganz lecker, aber man musste schon auch mal seinen Kopf ausschalten. Das Stückige im Auflauf war Leber, damit kann ich prima leben. Von dem Rest wollte ich gar nicht wissen, was es war. Prinzipiell finde ich es gut, dass man, wenn man es schon schlachtet, ein Tier auch komplett verwendet. Aber die Tradition, sprich Erziehung, macht es einem schon schwer. Der Hauptgang war dann Schmorfleisch mit Kartoffeln, mit Knochen und Fett und Haut. Ich sage mal so: Es war mir dann doch einen Tacken zu traditionell. Aber das Ambiente im Restaurant ODA ist sehr nett und der Service sehr aufmerksam. Einziges Manko war ein Tisch voller schlecht erzogener und – trotz der vielen kleinen mitgebrachten Kinder – kettenrauchender Däninnen und Dänen, die sich natürlich genau neben mich setzen mussten. Ich bin dann samt Essen umgezogen.

Im Hotelzimmer angekommen, fand ich den Schriftverkehr zwischen Hotel und Reiseveranstalter vor, Katie hatte es per WhatsApp angekündigt, dass sie mir den unter der Tür durchschiebt. Sie schrieb mir dann noch, sie hätte einen Geldtransfer eingefordert, der auch meine Taxikosten enthielte. Bin gespannt, ob sie damit durchkommt.

Ja, wieder ist ein aufregender Tag zuende, ich sitze schon früh im Hotelzimmer und bin fix und alle. Meine SmartWatch zeigt 30.870 Schritte und 32 Etagen an. Hat sich mein Fazit verändert? Nö, bin immer noch in einer tollen Stadt und weiß, dass auch die Umgebung stimmt. Den Ärger mit dem Reiseveranstalter hätte es nicht gebraucht. Für morgen hatte ich eigentlich Durres an der Küste eingeplant, aber ich fürchte, das ist zu zeitaufwändig mit Bus und zu teuer mit Taxi. Mal sehen, was ich stattdessen für Kapriolen schlage.

Kapriolisiert Ihr wieder mit?

Liebe Grüße
Euer Gerry

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