Tage 13 bis 15: Eine Seefahrt, die ist…

Ihr Lieben,

natürlich wisst Ihr, wie der Song weitergeht… nämlich „ermüdend“! Schon wieder wurden den Passagieren anderthalb Stunden ihrer Lebenszeit geklaut. Gut, wir bekommen sie auf der Rückreise ja zurück. Wenn das doch mit jeder verplemperten Stunde im Leben so wäre… Aber die letzte Reise verläuft ja bekanntlich ohne Zeitkontenausgleich.

Seetag 5:

Was ich damit eigentlich sagen will: das Aufstehen fiel wieder einmal um ca. anderthalb Tonnen schwerer. Ich schlich mich müde zum Hanami, wo man ein Langschläferfrühstück am Tisch serviert bekommt. Das kostet einen Aufschlag, aber die Alternative wäre eine herzhafte Mahlzeit im „Tag und Nacht“ gewesen, wo man, wie der Name verrät, 24 Stunden am Tag Currywurst und Pommes bzw. Länderspezialitäten des Tages erhält. Das sind dann Themen wie Karibik, Baltikum, Deutschland oder England. Ja, dann doch lieber einen Aufpreis zahlen.

Nach dem Frühstück las ich auf der Kabine in meinem Roman, jedwede Aktivität draußen schien mir ungeeignet, einer Körperschmelze zu entgehen. Mittags habe ich mich auf dem Achterdeck des Gosch zum Essen verabredet. Vorteil: das Essen kann gar nicht kalt werden. Nachteil: bei den Getränken sieht es anders aus…

Am Nachmittag hatte ich wieder einen Workshop. Wein-Tasting stand auf dem Programm. Die einzig gesellschaftlich anerkannte Methode, sich zuzudröhnen, die zudem auch noch als extrem kultiviert gilt.
Das war ganz nett. Wir hatten drei Weiß- und zwei Rotweine, die wir lernten, zu beschreiben. Der Unterweiser hatte einen ganzen Koffer Aroma-Ampullen dabei, die uns in dem Prozess unterstützen sollten. Gelernt habe ich vor allen Dingen viel über die Macht der Manipulation.

„Was schmecken sie?“ – „Lakritze, Sonnenblumensamen und einen Hauch Ananas!“ – „Falsch, Sie schmecken toten Igel auf nassem Asphalt!“ – „Stimmt, jetzt wo sie es sagen….“

Im Ernst, er hat es gut gemacht, ich mochte aber leider nur zwei der präsentierten Tröpfchen wirklich. Erstaunlicherweise waren das ein Sauvignon Blanc und ein Crianza, also ein roter Spanier, der 24 Monate im Holzfass und dann noch lange auf der Flasche reift. Beides eher Sorten bzw. Ausbauweisen, die ich sonst so gar nicht schätze.

Ich erfuhr dann von Corona-Fällen an Bord und ich machte, da ich auch etwas erkältet bin, einen Test. Alles okay. Aber ich werde ein bisschen auf die üblichen Regeln achten. Nicht mit verschnupften Witwen knutschen und den Aufzug verlassen, wenn gleichzeitig mehrere Hundertschaften schlecht erzogener Greise oder pubertierender Blagen zusteigen, die alle keine Ahnung von Schnupfenhygiene haben. Und glaubt mir, das sind mehr als 90% der Passagiere an Bord.

Ich ging mit – ich denke, ich muss sie inzwischen so nennen – meiner Gang erst essen, um dann mit ihnen ins Theater zu gehen, wo die fantastische Show „Einmal um die Welt“ das geneigte Publikum begeistern sollte. Ich war leider nicht geneigt. Nach der ersten Nummer, in der Wikinger eine Person im Pailettenkleid anbeteten war mir schon… Als sich dann Wesen wellenwiegend auf der Bühne… mit zwei Personen in Sicherheitsgurten einer Marsexpeditionsrakete… Ihr seht, man kann es nicht beschreiben.

Die Akrobaten sind gut, die Tänzer sind gut, die Sänger sind gut. Aber die Inszenierung ist… naja, eben nicht meins.

Gottseidank kann man zwischen den Gesichtsausdrücken Ergriffenheit und Verzweiflung kaum unterscheiden. Aber mir war danach, mich von meinem Platz zu entfernen, dabei täuschte ich einen Hustenanfall vor. Mit ergriffen-panischem Gesichtsausdruck halt.

Ich traf die Gang später zum Mitsingevent auf dem Pooldeck wieder. Ich bin ja nicht so schlageraffin, daher plauderte ich eher belanglos rum. Es stellte sich dann raus, dass alle irgendwie dann doch alle kennen. Die Welt ist klein: „Der Klaus von der Versicherung ist jetzt beim REWE?“.

Später hat mich die Truppe wieder gewaltsam in der Disco festgehalten. Aber diesmal weiß ich, wie ich es auf meine Kabine geschafft habe. Bei Euch ist es jetzt 21 Uhr, hier 3 Uhr in der Früh. Nächtle, sachichma!

Seetag 6:

So ein Tanzabend schlaucht ganz schön, da muss man mal etwas länger schlafen, daher übersprang ich das Frühstück. Bevor ich mich zum frühen Mittagessen in die Osteria, dem italienischen Service-Restaurant an Bord, begab, stornierte ich noch meine heutige Reservierung für das Steakhouse, denn ich werde da an einem anderen Abend mit der Gang hingehen.

In der Osteria kann man ganz gut essen, es gab Oktopussalat und eine Pizza, die vor allem durch ihren guten Boden viele Pluspunkte bei mir machte. Auch das Orangenpannacotta war sehr lecker!

Am Nachmittag lernte ich dann ein neues Kartenspiel, Skyjo. Dabei habe ich mich nach einer Weile auch nicht mehr ganz so blöde angestellt. Grob gesehen geht es darum, so wenig Punkte wie möglich auf dem Tisch übrig zu behalten. Sehr pädagogisch! Man muss ein bisschen rechnen können.
Während wir da so saßen und spielten, wurden wir Ohrenzeugen der Proben für die abendliche ABBA-Show. Es war unbeschreiblich. Talent ist ja ein Anagramm zu latent. Was mich dazu bringt, zu behaupten, dass da noch nicht einmal ein latenter Ansatz zu Talent vorhanden war. Das Alternativprogramm wäre eine Aufführung der Showtruppe vom Vorabend gewesen. Hm.

Am Abend gab es ein fast weihnachtliches Essen, Ente mit Knödeln sowie ein super Käsebuffett, und dann war ich auch schon durch mit dem Tag. Denn die Shows wollte ich mir nicht antun, lieber wollte ich noch ein paar Seiten lesen.

Das Wetter wurde inzwischen etwas rauher, es regnete viel, und so schlingerte das Schiff ein bisschen mehr als sonst, aber wir sind weit von schwerer See entfernt. Heute Nacht werden schon wieder (!) die Uhren umgestellt, wir sind dann bei sieben Stunden Unterschied zu Deutschland. Habe schon richtig Shiplag.

Seetag 7:

Die Nacht war dann ein bisschen ätzend. Ich hatte mich um 20 Uhr kurz mit dem Buch hingelegt und bin natürlich eingeknackt, wurde zweieinhalb Stunden später wieder wach und konnte dann nicht wieder einschlafen. Ich las, spielte Computerspiele, versuchte zu schlafen, las, holte mir Wasser, versuchte zu schlafen. Gegen 4 Uhr früh neuer Zeit war ich dann endlich eingenickt. Um 8 Uhr 30 plärrte der Wecker, den hätte ich am liebsten aus dem Fenster spediert, aber man darf ja nix über die Reling werfen und außerdem ist der in meinem Handy verbaut, das wäre also zudem sehr dumm gewesen.

Beim Frühstück gab es mal wieder tumultartige Szenen an den Kaffeemaschinen („Sie drängeln sich vor!“ – „Sie stehen doch an einer ganz anderen Maschine an!“), um 11 Uhr traf ich mich zur nautisch-technischen Fragestunde mit dem Kapitän im Theater. Nein, nicht nur ich, es waren auch andere Passagiere zugelassen. Manchmal denke ich, Ihr wollt mich nicht verstehen! Ehrlich, der Mann ist ein Entertainer erster Güte. Er trägt sehr unterhaltsam und auch lustig vor, was eine Passagierin in der Fragerunde zu der Aussage verleitete, er sei ihr zu komisch, sie möchte mit ihm kein Unglück erleben. Er erwiderte in etwa, dass er jetzt aber nicht extra für sie ein Unglück provozieren wolle, damit sie sehe, dass er das Schiff im Griff habe.

Überhaupt: die Fragerunde. Entgegen der landläufigen Meinung, es gäbe keine dummen Fragen: doch, doch, es gibt sie! Peinlich. Insbesondere peinlich, wenn der oder die Fragende erst einmal seine oder ihre Lebensgeschichte zum Besten gibt, in der natürlich die Kernkompetenzen erwähnt werden, die zu genau dieser Frage berechtigen. Himmeldieberge!

Aber der Kapitän konterte in der Regel gewitzt, was bestimmt einige Beschwerden einbringt. „Der Kapitän hat sich über mich lustig gemacht!“. Ein Beispiel: „Ich war schon so oft auf Schiffen, nie war mir schlecht, warum ist das jetzt so?“ – „Sie hatten bisher immer bessere Kapitäne als mich!“. Der Saal tobte vor Lachen.

Da der Italiener gestern so angenehm war, sind wir heute Mittag wieder dorthin gegangen. Auch die Pasta und die anderen Vorspeisen waren gut. Man kann da definitiv essen.

Der Nachmittag war wieder dem Kartenspiel gewidmet. Diesmal probierten wir uns an Phase10, das habe ich mal vor Jahren bei einer Doppelkopffreundin kennengelernt und seitdem nie wieder gespielt. Das ist total nett, wenn man denn vorankommt. Ich hatte ziemlich viel Glück, sonst hätte ich die Krise gekriegt!

Ich besuchte anschließend wieder einmal einen Vortrag meines Lieblingslektors, diesmal über Langkawi und Penang und lernte auch heute etwas und hatte ausreichend zu lachen. Im Gegensatz zum Kapitän hat der Lektor einen eher trockenen Witz, den man in der Schnelligkeit, in der er vorträgt, auch noch erhaschen muss. Aber grundsätzlich  war heute von früh bis spät Comedy auf dem Schiff. Störend war nur, dass jetzt gefühlt 80% des Schiffes eigentlich in ärztliche Behandlung müssten, den es wird geröchelt, gebellt, geschnauft und gestöhnt, dass es den Göttern der Alliteration und der Lautmalerei schwindlig vor Augen werden sollte.

Abends gingen wir geschlossen ins Atlantik, das Essen war gut (inzwischen weiß man auch in etwa, was au point an den Tisch kommt und was schon seit Tagen am Küchenpass vor sich hinwelkt), der Diätkoch machte seine Honneurs und befragte auch uns nach unseren Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Mehrere Servicekräfte trugen – nachdem mir aufgefallen war, dass sie zwei oder drei Tage verschwunden waren – heute a) eine Maske und b) wieder auf. Es ist fast nicht zu leugnen, das Schiff ist im Coronafieber, man ignoriert es aber geflissentlich. O-Ton eines belauschten Gesprächs: „Ich soll mich sogar ohne Maske an Bord bewegen, es ist ja inzwischen alles gar nicht mehr so schlimm.“.
Man mag denken, was man will: Ich aber bin froh, dass ich superfrisch geimpft bin und ein paar Regeln beherzige, die die Ansteckungsgefahr minimieren. Denn selbst, wenn alles nicht mehr so schlimm ist, möchte ich nicht als schwindsüchtige Mimi durch Singapur streifen (zur Erklärung: das ist die Frau aus Puccinis „La Bohème“, die Ihren Rodolfo sterbend zurücklässt, dabei aber, wenn sie Ihren letzten Laut als lungenkranke Sterbende hinaushaucht, immer noch erstaunlich gut singen kann).

Abends war „Weiße Nacht“ angesagt, auf dem klatschnassen Pooldeck. Aber pünktlich zu Beginn war die Nacht wieder sternenklar. Ich habe mich dann so gut es ging, in weiße Montur gehüllt, bin dort aufgekreuzt, ertrug brav die Schlagermedleys von Helene Berg und Andrea Fischer, dann wurde die Musik der 70er bis 90er kredenzt und das war dann ganz nett. Einziges Problem hier: Die Raucher breiten sich dann überall im Freien aus! Und blasen einem ihren Rauch aus 20 cm Entfernung ins Gesicht. Sie machen es einem leicht, sie nicht zu mögen. Jaja, ich weiß, ich habe selbst mal gequarzt. Wir sind die Allerschlimmsten!

Ich zog es dann vor, meine „Nights in White Satin“ in einer Innenbar fortzusetzen, was ja den Vorteil hat, dass es klimatisiert ist, und schrieb weiter an diesen meinen Ergüssen, die Ihr gerade lest. Was ein wenig mühsam ist, wenn das sehr teure Internet an Bord immer wieder spinnt.
Nachdem ich wieder Kontakt über das Netz hatte, haben wir uns noch auf einen Absacker getroffen. Aber die Abtanz-Bar war inzwischen voll mit wirklich hackedichtem Publikum und einer völlig überforderten Bar-Crew, die vorrangig diejenigen bedienten, die am lautesten schrien. Nachdem ich eine Bestellung zum vierten Mal wiederholt hatte, fügte ich hinzu, dass man es uns sagen könne, wenn wir als Gäste nicht genehm wären.

Im Ernst, ich war mal wieder im Phoenix-Vergleichs-Stadium. Ich hatte nach kurzer Zeit die Faxen dicke und begab mich wieder auf die Kabine.
Morgen also wieder Land unter den Stelzen. Und wenn ich es richtig in Erinnerung habe, auch mal viel Luft zwischen Stelzen und Erde. Mir ist schon ganz bang und ich brauche morgen dringend Eure moralische Unterstützung, wenn ich Seilbahn fahre oder auf wackeligen Brücken kilometertiefe Canyons überquere.

Ich zähle auf Euch! Liebe Grüße, Euer Gerry

Eine liebe Nachbarin hat Grüße von Cora geschickt. Ich freue mich, dass es meinem Mädel so gut geht!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert