Tag 21+22: Sprachlos in Singapur

Ihr Lieben,

sprachlos in Singapur kann man auf zweierlei Arten sein. Einmal, weil einem zu dieser tollen Stadt nichts zu sagen einfällt, das wäre die begeisterte Sprachlosigkeit. Dann gibt es die, die mich gestern früh beim Aufwachen befallen hatte und die bis jetzt (anderthalb Tage später) anhält. Ich weiß ja nicht, ob das nur eine Laryngitis ist. Von Oberkante Zungengrund bis runter zum Adamsapfel fühlt sich alles geschwollen an, ich kann noch nicht mal Wasser schlucken, ohne wildeste Zombie-Verrenkungen machen zu müssen, so sehr schmerzt das.

Ich schlucke wie wild Paracetamol, Ibuprofen und Amoxicillin (und das dauert pro Pille eine Ewigkeit, bis ich die runterhabe) und habe zudem dennoch Fieber! Apropos Antibiotikum: Die habe ich vom Bordarzt bekommen, sollte sie aber noch nicht nehmen, sondern erst, wenn es schlimmer würde. Warum habe ich Trottel auf den gehört? Immerhin haben mich diese Pillen zu einem kleinen Dialog inspiriert:

– „Ich habe Halsschmerzen, kann nicht schlucken, alles ist geschwollen!“
– „Oh, da habe ich dieses Antibiotikum in Form eines U-Boots für Sie!“
– „Huch, das ist ja auch genau so groß wie ein U-Boot, wie soll ich das denn schlu….“
– „Der Nächste bitte!“

Wie ging es denn nun von Bord? Ich war eigentlich mit der Gang zu einem Frühstück im Hanami verabredet, sagte dies aber ab. Da die Nacht nicht dolle war, wir die Kabinen aber bis 9 Uhr räumen mussten, war ich froh, in der TUI-Bar eine der Fensternischenbänke ergattern zu können, um dort noch einmal zwei Stunden zu dösen. Um 11 Uhr schmetterte die Stimme des Schiffs dann, dass wir Lumpenpack nun nicht mehr Gäste seien und uns zu verziehen hätten. So schlich ich mich mit meinen Habseligkeiten dann zur Grenzkontrolle und staunte, wie super einfach alles vonstatten ging. Meine arabischen Leckereien ließ ich an Bord zurück, dabei hätte ich wahrscheinlich drei Tonnen davon einführen dürfen. Der Zoll hat nichts kontrolliert. Naja, bei mir nicht, soll jetzt kein Freibrief sein!

Ich nahm ein Taxi zum Hotel und hatte Glück, mein Zimmer war schon bezugsfertig. Ich war soooo dankbar! Ich fraß Pillen, legte mich erst einmal für zwei Stunden hin und beschloss dann, zumindest etwas herumzulaufen. Ich wollte ja nun nicht mehrere hundert Euro Hotelkosten verplempern, um vier Tage wie ein sterbender Schwan auf dem Bett zu liegen. Ich nahm die nächstgelegene U-Bahn (mit KLIMAANLAGE!) und steuerte „Little India“ an. Das ist ein entzückendes Viertel mit indischen Läden, indischen Tempeln, indischer Musik und indischen Gerüchen. Nach etwa einer Stunde dort wurde mir aber etwas flau, ich hatte noch nichts gegessen und ich merkte, wie die Temperatur wieder anstieg. Ich kaufte mir ein Eis, da ich dachte, dass ich das ja wohl runterbekommen könne. Weit gefehlt. Nicht einmal Eis! Ich fuhr zum Hotel zurück und legte mich ins Bett. Mit vielen Unterbrechungen blieb ich bis 8 Uhr früh dort liegen, um dann frühstücken zu gehen. Joghurt, Wassermelone und Saft. Und dabei hätte ich mir am Buffett indische, malaiische oder chinesische Köstlichkeiten auf den Teller stapeln können. Ich war extrem angepisst.

Zurück auf dem Zimmer knipste ich das „Lasst-mich-in-Ruhe“-Licht an und legte mich wieder – nach einer ausgiebigen Tablettenrunde – aufs Bett. Nach zwei Minuten klopfte es. Ich ignorierte es. Es klopfte wieder. Ich konnte ja nicht rufen, sprang in eine Hose und öffnete die Tür. Man wolle mein Zimmer machen. Ich krächzte „No room, just Water“ und erhielt von dem verschreckten jungen Mann direkt vier Flaschen in die Hand gedrückt. In amerikanischen Filmen wäre der junge Mann mit seinem weisen chinesischen Großvater wieder aufgetaucht, der geheimnisvolle Kräuter zerkaut und mir diesen Brei dann zum Schlucken gegeben hätte, so dass ich eine Stunde später geheilt durch die Stadt getanzt wäre. Aber wir sind ja nicht im Film. Ich schlief – diesmal wirklich fest – vier weitere Stunden. Das brachte mir zumindest fiebertechnisch wohl Erleichterung. Ich fühlte mich fit genug, auf einem Sightseeingbus, den ich schon von Deutschland aus gebucht hatte, die Stadttour zu machen.

„Gerry, geht’s Dir gut?“, flötete eine Stimme von oben. „Naja, besser zumindest.“, krächzte ich zurück. „Na dann.“ Und die Himmelsschleusen öffneten sich. Regnet es in Singapur? Nein, nahhain! Es schüttet! Vollkommen vermummt in Schals und mit Regenschirm kämpfte ich mich zur Bushaltestelle. Sitze ich halt unten, dachte ich. Unten: Minus 3 Grad, die Klimaanlage pustete sich die Elektrik aus dem Gehäuse. Also hoch, unter das gespannte Dach. Kopfhörer eingestöpselt und los mit der roten Tour. Die Tour führte bis zu dem zentralen Sammelplatz der Sighseeingbusse und daher stieg ich dort in die gelbe Linie um. Diese fuhr ich dann komplett, wechselte wieder zur roten Linie und fuhr bis fast zu meinem Einstiegspunkt zurück. So hatte ich mit eingeengten Sichtverhältnissen zumindet alle Highlights einmal abgefahren und die entsprechenden Erläuterungen dazu gehört. Die übrigens von einem ganzen Team eingesprochen wurden, das komplett von einem Tele-Shopping-Kanal gecastet worden sein muss. „Karen, siehst Du diesen Wolkenkratzer? Ist der nicht faaaantastisch?“ – „Ja, Marc, der helle Wahn! Dazu kann uns bestimmt Lisa mehr erzählen, nicht waaahr, Lisa?“. Wenn man übrigens alles unüberprüft hinnimmt, was einem dort über Singapur erzählt wird, wundert mich, dass nicht alle Städte der Welt dieses Konzept imitieren. Grünste Stadt, sozialer Wohnungsbau für fast alle, Sicherheit, Sauberkeit, Nachhaltigkeit. Man gibt sich gerne selbstbewusst, was die eigene Stellung in der Welt angeht. Möglicherweise zurecht.

Die Tour selbst… Ja, wenn ich morgen wieder halbwegs unter den Lebenden sein sollte, versuche ich, die wichtigsten Punkte noch einmal anzufahren und dort einen kurzen Halt zu machen. Gardens in the Bay natürlich oder das berühmte Raffles Hotel, der arabische Distrikt… Ich erlief mir am Ende der Tour noch Chinatown, das mir auch sehr gut gefiel.

Auf dem Weg zurück ins Hotel schaute ich noch in einem 7/11 vorbei und erstand dort drei Joghurts. Ich hatte heute früh gemerkt, dass die gerade die sinnvollste Speise darstellen. Die Dame an der Kasse gab mir noch eine Banane obendrauf. Das fand ich zwar irritierend, aber nett. Es ist schon gemein. Rund ums Hotel gibt es wunderbare Restaurants, viele japanischer oder koreanischer Ausrichtung. Fußläufig auch Food-Courts, Futterhöfe, mit allen Köstlichkeiten der Welt und ich esse Bananenjoghurt. Na, tut meiner Wampe auch mal gut.

So, jetzt sind wir wieder bei Sprachlosigkeit Nummer 1: Singapur, das was ich mitbekommen habe, ist schon großartig. Mein Hotel liegt zwar mal wieder mitten in einer Großbaustelle (da habe ich irgendwie ein Händchen für in letzter Zeit), aber da kann die Stadt an sich ja nichts für, genausowenig wie für meinen Gesundheitszustand oder den tropischen Regenguss. Ich bin mir sicher, dass ich hier eine ganze Woche Urlaub hinbekäme, ohne mich im Entferntesten zu langweilen. Daher hoffe ich inständig, dass ich an meinem letzten Tag morgen wieder fit genug bin, um noch das ein oder andere Highlight mitnehmen zu können.

So, ich hoffe, ich habe Euch mit meinem Selbstmitleid nicht allzu sehr genervt und freue mich auf ein Wiederlesen morgen Abend!

Liebe Grüße,
Euer Gerry

P.S.: Der Roomservice war während meines Ausflugs doch noch einmal bei mir im Zimmer. Sie haben die Klimaanlage wieder angeschaltet. Klimaanlage. KLIMAANLAGE!!!!!

Nachtrag: „Gerry, wie ist denn so?“ – „Ach ja, hab ja doch irgendwie das Beste aus dem Tag rausgeholt…“ – „Na, dann wird es Dich ja nicht stören, dass Deine Reiseagentur gerade Deine Südamerikareise im April storniert hat. Nächtle!“

4 Gedanken zu „Tag 21+22: Sprachlos in Singapur“

      1. 🙂 seit ich Afrika gelesen habe, reise ich immer mit😉 ich muss Dir ein oder ganz viele Komplimente machen…die Reiseberichte sind einfach fantastastisch geschrieben, witzig, informativ und natürlich tolle Fotos… Danke Dagmar

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