Attendorn: Das 97-Euro-Ticket

Ihr Lieben,

„Da hat der Gerry sich aber mal was vertippt, hehe!“ kichert jetzt der geneigte Leser. Ich schmettere ihm entgegen: „Keineswegs, denn ich habe auch noch die Übernachtungskosten eingerechnet.“, nicht wirklich erkennend, dass dies bar jeder Logik ist. Vielleicht habe ich ja doch das Potenzial zum Politiker.

Wer den kleinen Ausführungen auf dieser Seite folgt, wird sich vielleicht an meinen misslungenen Besuch der Attahöhlen erinnern. Der ja nicht stattgefunden hat. Weil der Nahverkehr beliebte, sich bestellen zu lassen, was ich versäumt hatte. Da ich so etwas ja nicht ahnen konnte. Also nun, zweiter Versuch.

Was, wenn ich einfach anders führe? Was, wenn ich freitags nach der Arbeit aufbräche? Und wenn ich dann übernachtete in Attendorn, um am frühen Morgen der erste Besucher der Höhlen sein zu können. WAS FÜR EINE DÄMLICHE IDEE. Du und früh aufstehen. Gerry, nimm mal wieder Deine Medikamente, Du bist so merkwürdig! Kurz mal Hotels checken. Ohhhh, Burg Schnellenberg hat noch ein Zimmer frei. NEIN! Mit Frühstück. Und Ausblick! NEIN! Ist ne Burg! Immer noch NEIN! Boah ey, ne Burg! Meine Güte, aber nur dieses eine Mal.

In der Mittelstufe hatte ich mal einen Mitschüler, der von allen ein bisschen gehänselt wurde, weil er aus dem Sauerland kam. „Sauerland“, das fanden rheinländische Präpubertierende komisch. Und er sprach seinen Heimatort so gar nicht wie wir aus. Attendoahrn. Atten-do-aan. Man kann es gar nicht schriftlich wiedergeben. Und er sagte Sachen wie Kiarsche oder Biarne! (wer weiß es?) Aber seitdem denke ich, wenn ich Attendorn höre oder lese, immer an diesen sehr lieben Klassenkameraden. Sagt man das heute eigentlich noch? Klingt so ein bisschen antik. C., wie geht es Dir?

Kurz nach der Buchung meines hochherrschaftlichen Gemachs auf der Burg bekam ich eine Nachricht des Hotels. Ob ich denn abends im Restaurant zu speisen wünsche? Ich schaute mir das online an. Hui. Edel. Und Puh. Ich wollte ja jetzt nicht meinen Konfirmationsanzug einpacken. In den ich zugegebenermaßen auch gar nicht mehr passen würde. Womöglich wäre der viel zu schlabbrig! Ich antwortete, ich käme gerne in Jeans und Pullover, ob das angemessen sei. Die Replik bekam einen mentalen Pluspunkt: Mein Outfit sei willkommen, man freue sich auf mich und man halte mir einen Tisch frei.

Gesagt, getan, geplant, gepackt. Am Freitag nach der Arbeit machte ich mich auf den Weg. Und da ich weiß, dass etwas schiefgehen wird, wenn etwas schiefgehen kann, brach ich eine Stunde vor meiner eigentlich ausgeguckten Zeit auf. Sorry für das Eigenlob, aber das war weise!

Man sieht es auf dem Foto vielleicht nicht genau: Aber der Waggon ist schon voll!

Es folgt ein kleiner Exkurs über die Deutsche Bahn. Ey, schon wieder???? Ja, es gibt einen kleinen unbeugsamen Gerry… äh… Also: Mit Coraflix, der tapferen Galli…. oops… Japanerin, wäre der kleine Wegwienix in knapp über einer Stunde am Ziel gewesen. Mit dem früher von mit hochgelobten Bahnbetrieb hätte ich – Attendorn ist für Köln scheinbar von nicht besonders anbindungswürdigem Interesse – zweieinhalb Stunden benötigt. Mit dem neuen Häuptling der Bahn, Daswirdnix, wurde das nix. Allein mit dem ersten RE brauchten wir von Köln bis nach Hagen 2 Stunden. Viermal blieben wir lange mitten im Nirgendwo stehen und wurden mit so sinnigen Bandansagen aufgeheitert wie „Es geht nicht weiter, weil es nicht weitergeht“ oder „Wir müssen gerade noch schnell mehrere Züge durchlassen, inklusive Weihnachtsexpress.“.

Beim Umstieg in Hagen Richtung Lennestadt-Grevenbrück ging dann auch erstmal nix. Man schickte für 382.038 Passagiere (ich hatte wegen der Verspätung ausreichend Zeit, sie zu zählen) einen (!) Waggon mit 4 Sitz- und 8 Stehplätzen. Die Lokführerin Gutemine machte ebensolche zum makabren Spiel, ließ sich die Beschimpfungen gefallen (Leute, als könne die was dafür!) und verwies auf Gleis 1, da gäbe es einen anderen Zug. Der war dann zwar auch voll, aber fast alle hatten einen Sitzplatz. Und dieser Zug fuhr dann pünktlich. Und ohne unbeabsichtigten Halt. Dafür hatten wir dann Posaunix an Bord, der allen seine Verschwörungstheorien näher bringen musste. Dass die Regierung mich töten will…. ja, ganz ehrlich? Da passieren schon so ein paar unglaubliche Dinge… Die Sache mit der geplatzten Semmelbröseltüte neulich z.B. Aber dennoch ging er (nicht nur) mir mächtig auf den Zeiger.

Ich war inzwischen so verspätet, dass ich keinen Regelbus mehr bekommen hätte. Wir erinnern uns an meinen ersten Attendornversuch? Bestellter Nahverkehr. Ich bestellte Nahverkehr, einen sogenannten Taxibus. Schon in Hagen. Man muss ahnen, wie eine Zugreise ausgeht. Der kam dann auch und nahm mich und einen seeeehr redseligen Einheimischen mit. Der Einheimische stieg schnell aus und ich musste mit meinem Navi den Taxibusler zur gewählten Haltestelle lotsen. Kannte er nicht, da wollte noch nie jemand hin. „Da soll ein Hotel sein?“ Als wir dann – bei guten Gesprächen – ankamen, brachte er mich, weil er noch Zeit hatte, bis zur Burg. Es wären sonst noch ca. 1 bis 2 km Fußweg gewesen. Ein Trinkgeld als Dank lehnte er ab. Also, das war ein total netter Zeitgenosse! Fast scheue ich mich, es zu sagen: Es war kein Biodeutscher. Es ist schon merkwürdig, dass man das Bedürfnis hat, es zu erwähnen.

Ich habe übrigens eine Theorie zur Entstehung des Namens Sauerland: Die ersten Siedler, die hier ankamen, waren schlecht gelaunt. Und so nahmen sie ihren Gemütszustand zum Anlass, das von ihnen gefundene Land entsprechend zu benennen. Jüngste Forschungen ergaben, dass alle diese Siedler mit der Deutschen Bahn angereist waren.

Burg Schnellenberg

Auf der Burg wurde ich wie Burggräfin Thusnelda persönlich empfangen. Es ist eine prächtige Unterkunft! TripAdvisor listet sie als Sehenswürdigkeit Nr. 3 in Attendorn. Nach dem „Biggeblick“ und den Atta-Tropfsteinhöhlen, die übrigens nichts mit Meister Proper zu tun haben. Das Zimmer ist groß und hat einen in die Jahre gekommenen Charme. Aber schön. Ich war überdies froh, dass ich den Platz im Restaurant gebucht hatte, denn nach der Tortur wegen Mitbahnnixalsverdrus hatte ich keine Lust mehr, noch nach einem Restaurant in Attendorn zu suchen.

So schlich ich einmal den Wanderwege A4 um die Burg herum, sage und schreibe 1,4 Kilometer, und kam früh auf der Restaurantterrasse an, um erst einmal ein Bierchen zu zwitschern. Und dann noch eins. Und dann konnte ich mich auf das nicht gerade niedrigpreisige Essen einlassen. Ich sach mal so, ich hab‘ es krachen lassen. Pannacotta von der Erbse mit allerlei Drumherum, Essenz von roter Bete mit Meerrettichschaum, Stör auf Kohlrabistampf und Vanilleeis mit Whiskeyschokoladensauce und Burgpflaumen. Die Erbse war okay, die Essenz eher nee, dafür waren aber der Fisch super und das Dessert prima. Alles begleitet von einer Burgedition eines interessanten Grauburgunders.

Lästig waren auf der Terrasse nur die Myriaden von Wespen und die unglaublich vielen Kettenraucher. Ja, ich mache mir gerade wieder Freunde, aber die Wespen waren mir lieber. 🙂 (nur, als mal kurz eine mein Hemdeninneres erkunden wollte, war ich ein wenig hektisch. Zur Reha muss aber sie. Wespe! Ich rede von einer Wespe!)

Alles in allem bin ich froh, jetzt hier zu sein, ich wohne nett, hatte ein gutes Essen und kann ein bisschen ausschlafen und trotzdem früh in den Tropfsteinhöhlen sein, wo morgen bestimmt 382.038 Besucher mit dem 9-Euro-Ticket eintreffen werden. Aber eben erst mittags, so der Bahngott Tut-ench-wandan es zulässt.

Morgen berichte ich dann über die Hotspots Nr. 1 und 2 in Attendorn und meine vergnügliche, störungsfreie Rückreise mit einem gechartertem Helikopter.

Tschökes, Euer

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