Ihr Lieben!
Das war wieder eine kurze Nacht, ich kann ja nicht auf Befehl um 21 Uhr die Augen zuknipsen und losschlafen. Als die Wecker klingelten, war es mir, als hätte ich mich gerade erst hingelegt. Ich checkte frühstückslos aus (der Mann an der Rezeption bot mir aber an, mir ein Brot und einen Kaffee zu machen, total nett), nahm ein Taxi, das ich mit meinen letzten Lew bezahlte und war auf dem Weg in Land Nr. 4 unserer gemeinsamen Reise.
Diesmal war der Umstieg in Wien. Alles klappte problemlos, auf dem Flug nach Skopje hatte ich sogar den Mittelsitz frei. Dafür saß am Fenster ein sehr gesprächiger (aber sehr sympathischer) 20-jähriger Pole, der seine mazedonische Freundin besuchen wollte. Wir quasselten viel und die Zeit verging wie im Fluge (haha!). Er will am liebsten Pilot werden, denn er reist auch für sein Leben gern. Für einen Zwanzigjährigen ist er auch schon gut rumgekommen. Er erzählte auch ein bisschen über die Balkanpolitik aus seiner Sicht, was dann dazu führte, dass sich immer mehr Menschen um uns rum in das Gespräch mischten. Hui, die Volksseelen waren wachgerüttelt. Insbesondere ein albanischstämmiger Mazedone, der aber jetzt in Deutschland lebt, wusch unserem Polen den Kopf. Beteiligt waren Kosovaren, Bulgaren, Albaner, Mazedonier, der Pole und mittendrin ich. Aber es kam zu keinen Handgreiflichkeiten, alle hatten sich am Ende wieder lieb und alle waren sich einig, dass die Griechen doof sind. Ich bekam ein paar Tipps, was ich mir angucken solle, aber ich bin ja nur drei Tage hier, da muss ich selektieren.
Am Flughafen Skopje ging mal wieder die e-SIM nicht, also funktionierte auch die Taxi-App nicht. Und der Bus in die Stadt war mir vor der Nase weggefahren, der nächste wäre in knapp 2 Stunden gefahren. Forderte ich eigentlich schon Metro für alle? Ich setzte mich draußen auf eine Bank und brauchte 20 Minuten, um mein Handy ans Laufen zu bekommen (ich hatte schon in Moldawien versehentlich den APN geändert, da muss man erst mal drauf kommen!). Danach beschloss ich einfach, eins der Taxis am Flughafen zu nehmen; auf Schildern wurde ein Festpreis von 25,- Euro ausgewiesen, egal, wohin man in die City wollte. Ich verließ mich darauf und konnte mich letztendlich darauf verlassen. Ich bin ja aus Erfahrung unentspannt mit ausgehandelten Taxipreisen. Fragt mich mal nach Mosambik oder Kuba. „Euro?“, fragt Ihr Euch jetzt, „Meines Wissens zahlt man in Denar.“. Ja, und damit habt Ihr auch völlig recht! Aber der Euro führt hier ein Schattenregime, auch an jedem Souvenirstand. Wechselkurs 1:60.
Das Hotel ist eine Bar mit einer ersten Etage, auf der die Zimmer verteilt sind. Ich bin sehr zufrieden, das Zimmer ist groß, sauber, hat Schreibtisch und Kühlschrank und ein sehr schickes Bad. Es gibt sogar einen Balkon, aber den werde ich wohl nicht nutzen. Und ich war zwei Stunden zu früh, konnte aber schon aufs Zimmer! Yeah!




Ich verstreute dort wahllos ein paar Gegenstände, um mein Revier zu markieren und machte mich auf, einen ersten Eindruck von der Hauptstadt zu gewinnen. Eines der Wahrzeichen ist die steinerne Brücke, die liegt 5 Minuten Fußweg entfernt. Die Brücke über den Vardar wurde schon im römischen Reich angelegt, ihr heutiges Bild stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Um zu ihr zu gelangen, muss man über den Makedonien-Platz, der von einer gigantomanischen Statue Alexander des Großen dominiert wird. Überhaupt Statuen: Es wimmelt von Standbildern, Statuen, Büsten. In kleinen Grünanlagen, an Brunnen, an Fassaden. Ein Wahnsinn. Rechts von der Steinbrücke führt die Brücke der Mazedonischen Zivilisation über den Fluß, direkt auf das pompöse, archäologische Museum zu. Laternen und Skulpturen wechseln sich ab. Es gibt einen Triumphbogen!




Ich war irritiert, setzte mich auf eine Bank und las mich ein. Wieso war das hier so wenig Yugo und so viel strahlender Pseudobarock? Die Antwort: „Projekt Skopje 2014“, ein Prestigeunterfangen des von 2006 bis 2016 als Ministerpräsident waltenden Nikola Gruevski. Das ein bisschen schief und aus dem Ruder lief. Fast alle Artikel hierüber konstatieren, dass es in dem traurigen Resultat des Titels „Kitschhauptstadt Europas“ endete. Naja. Der MP wurde wegen Korruption verdonnert und floh nach Ungarn. Ich werde jetzt aber nicht bei jedem Bauwerk gucken, was echt und was fake ist.
In Transvardarien (ich kann’s nicht lassen) stößt man zuerst auf einen alten Hammam, der jetzt als – tädää! – Nationalgalerie dient. Linkerhand thront die Skopsko Kale, eine Festung, deren Ursprünge bis in das 6. Jahrhundert zurück reichen. Wenn man seinen Weg fortsetzt, gerät man in die Altstadt mit Cafés, Handwerk, Läden, viele schon auf Touristen umgestellt, einige noch im Urzustand. Das bedeutet, dass man auch noch eine Näherei finden kann oder einen Schlosser. In den Cafés der Seitenstraßen sitzen dann auch manchmal nur einheimische Männer und spielen Tavla oder Domino. Und quarzen dabei wie wild. Wie alle hier. Seufz.







Je tiefer man nach Nordosten durchdringt, desto untouristischer wird es dann. Man entdeckt zufällig eine alte Karawanserei. Auf den überdachten Markt, der vor Betriebsamkeit nur so simmert, verirrt sich dann kaum noch ein Tourist. Und hier gibt es wieder alles, was das Herz begehrt.




Hier ist es wieder deutlich wärmer und schwüler als in Sofia, daher war mir nach einem Bier. Tief im muslimischen geprägten Basar hat man da aber keine Chance, daher lief ich in den touristischen Teil zurück, wo ich in einer schönen Gasse einen Tisch in erster Reihe okkupierte, um dem lebhaften Treiben zuzuschauen. Ich bekam ein einheimisches Bier vom Fass, einen mazedonischen Salat und eine handvoll Köfte mit Zwiebeln und gegrillter Pepperoni. Der Hammer. Ich meine das völlig ernst, wenn ich sage, dass es mehr Vegetarier bei uns gäbe, wenn das Gemüse so knackig und lecker wäre, wie hier. Die Tomaten. DIE TOMATEN!!! Kann man gar nicht beschreiben. Wisst Ihr eigentlich, wie richtige Petersilie schmeckt? Naja, und die Köfte waren auch der Hit, daher beruhige ich mich jetzt mal wieder. 🙂 Und natürlich habt Ihr auch schon einmal gutes Gemüse gegessen.




Ich saß da vielleicht eine Stunde, während der etwa ein halbes Dutzend großer, geführter Reisegruppen vor meinem Tisch Halt machten, die Hälfte davon türkische, zwei asiatische (ich meine japanisch und koreanisch identifiziert zu haben), eine italienische. Während der Leiter irgendetwas erläuterte, klickten dutzende Kameras. Auf vielen Bildern bin ich daher wohl mit Petersilienresten im Mundwinkel und Tomatenkernen am Kinn zu bestaunen. Gerry, der Köftefresser von Skopje. Weltweiter Kultstatus? Na, wer weiß…
Agnes Genxha Bojaxhin wurde in Skopje geboren. Zu deren Gedenkhaus brach ich nach dem späten Mittagessen auf. Berühmt wurde sie als Mutter Theresa von Kalkutta. Berüchtigt wurde sie auch unter diesem Namen. Ihr wisst ja, dass ich auf Reisen immer einigermaßen viel lese über die Geschichte von Orten, über das Handeln von Menschen, über die Bedeutung von Dingen. Manchmal gewinnt man dabei überraschende Erkenntnisse, z.B. dass die Heilige möglicherweise so heilig oft nicht war. Ich empfehle den Wikipedia-Eintrag für Interessierte*. Auf jeden Fall gibt es hier ein kleines, architektonisch sehr gelungenes kleines Haus in der Fußgängerzone, in dem das Leben der Nonne in Dokumenten und Bildern aufbereitet wird. Auch eine Kapelle gibt es vor Ort, wo u.a. Papst Franziskus schon seine Schuhabdrücke hinterlassen hat.





Ich begab mich zurück zum Hotel und die Siesta fiel leider viel zu lang aus, als dass ich danach noch etwas hätte unternehmen wollen. So kaufte ich nur in einem kleinen Supermarkt den üblichen Hotelproviant zusammen und begab mich an meine Hausaufgaben.
Tja, Projekt 2014 hin oder her, mir gefällt es auf den ersten Blick rasend gut! Ich mag insbesondere, dass hier alle so herzlich sind, dass es überall nach Basar riecht, dass es viel zu sehen gibt. Man hat mir ans Herz gelegt, auch mal vor die Tore der Stadt zu gehen, mindestens zu einem Canyon hier in der Nähe, wenn nicht sogar zum Ohrid-See, auf den man hier sehr stolz ist. Da prüfe ich gleich mal die Aufwände. In der Stadt selbst gäbe es nämlich auch noch ausreichend zu erklimmen, zu bestaunen und zu erforschen. Lasst Euch also überraschen, wie es morgen weitergeht. Liebe Grüße aus Mazedonien (alle im Flieger waren sich einig, dass der Name „Nordmazedonien“ eine Beleidigung ist), von Eurem

* ich lerne auf Reisen auch oft, dass in Stein gemeißeltes plötzlich zerkrümelt wie altes Weißbrot und man lang geglaubtes neu überdenken und ggf. bewerten muss.
