Ihr Lieben,
eigentlich müsste über Madrid ein fettes, selbstgemachtes Pappschild liegen: „Wegen Überfüllung geschlossen!“. Ich kann mich nicht erinnern, je solche Menschenmassen erlebt zu haben. Es ist, als fallen Weihnachten, das Stadtfeuerwerk, der Umzug der heiligen drei Könige, Karneval, der Sommerschlussverkauf, der CSD und ein Boxkampf des Papstes gegen Stefan Raab auf einen Tag. Bekanntlicherweise kann ich ja nicht so gut mit Menschenmassen umgehen. Und ja, ich weiß, dass ich ein nicht unbeachtlicher Teil dieser Masse bin.
Der Tag startete heute eher so mittelprächtig, der Kaffee hier ist lösliche Plörre (mit viel Zucker und Milch geht das dann) und draußen war schon wieder die Hölle los. Ich kämpfte mich zur Gran Via durch, um in den Sightseeing-Bus zu hüpfen. So einfach war es jedenfalls laut App. Hustepiepen, falsche Firma. „Ihr Bus fährt hier nicht lang, sie müssen da und dorthin!“. Ich fuhr Linienbus und stieg falsch aus, verlief mich dann (Google Maps scheint – wie ich – das erste Mal in Madrid zu sein, dauernd korrigiert sich die App) und war dann endlich bei der richtigen Firma. „Ja, die Haltestellen an der Gran Via fahren wir nicht an, da ist immer so voll.“. Danke für die Info.
Der Bus der „roten Route“ für das historische Madrid war pickepackevoll! Ich ergattere einen Platz vor einer englischen Familie, deren Kinder den Bus als Turngerät ansahen und den Vordersitz als Tritttrainer. Neben mir saß eine völlig überkandidelte Französin, die die ganze Fahrt über nur Selfies von sich statt von den Sehenswürdigkeiten machte. Zwischendurch rief sie Freundinnen an und quakte, si merveilleux es doch in Madrid wäre. Es war eiskalt (Madrid ist die zweithöchstgelegene Hauptstadt Europas nach Andorra la Vella) und bewölkt. Voll vermummelt ließ ich mir erklären, was ich alles zu sehen bekam, bzw. was ich zu sehen bekäme, wenn der Bus woanders lang führe. Immerhin lernte ich etwa 1.826 Architekten namentlich kennen. Bis morgen werde ich sie vergessen haben. Bis auf den von Antonio Palacio, der hier so viele Monumentalbauten hinterließ, dass viele von ihnen nach ihm Palast genannt wurden. Jaja, so eine Reise bildet!
Ich fuhr dann direkt auch noch die grüne Route, Schwerpunkt modernes Madrid. Da ging es etwas gesitteter zu. War aber auch nicht ganz so interessant. Am Fußballstadium sprangen dann 100 Bierbauchmänner hoch und ließen dadurch fast den Bus kentern. Je, was verstehe ich eigentlich nicht an Fußball? Inzwischen klarte der Himmel auf, das stimmte mich dann versöhnlicher. Aber ein paar Meckertipps habe ich noch für die CityTour-Madrid: Verkauft doch nicht zehmal mehr Plätze, als ihr zur Verfügung stellen könnt! Und bitte, bitte tauscht die hektische Pausenmusik aus! Selbst als nur leicht störanfällige Person macht mich die kirre.
Was hatte ich bisher gelernt? Madrid besteht aus lauter Protzbauten, die an riesigen Boulevards liegen. Oft dachte ich irgendwie an Moskau. Nur, dass es da damals leerer auf den Straßen war. Viel leerer. Und alles etwas verfallener. Dennoch nicht wirklich schön. Aber auch, dass es Ecken gibt, die ich anziehend fand. Da wo der Bus nicht mehr weiterkam, wie übrigens auch die Rettungsdienste und die Polizei nicht. Ein RTW fuhr mit Blaulicht und Sirene sage und schreibe fast 5 Minuten hinter uns her. Auf einer Strecke von vielleicht 100 Metern. Ich notierte mir gedanklich, wo das war.
Ich kaufte mir dann eine Touristenkarte für den ÖPNV. Damit kann ich drei Tage fast alles benutzen, was an Bussen und Metros unterwegs ist. Sogar der Flughafen ist inkludiert. Das hätte ich gestern mal wissen sollen. Aber, ich bin selbst schuld, ich bin viel zu blauäugig in diese Stadt gereist. Damit fuhr ich erst einmal ins Hostal, dort zog ich mich noch wärmer an und nahm erst einmal einen Schluck Rosé, dann lief ich zur Plaza Major. Das ist so in etwa das Gegenstück von der Praça Reial in Barcelona. Nur, dass hier ein Weihnachtsmarkt aufgebaut war und es kaum Fressbuden in den Arkaden gibt. Dafür aber den ein oder anderen schnuckeligen Laden. Auf dem Weihnachtsmarkt wird extrem viel China-Tinneff verkauft. Auch hier geht der Punkt an Barcelona, wo das Schnabulieren im Mittelpunkt steht. Sehr begehrt sind die Bombetas. Knallerbsen haben wir da früher – glaube ich – zu gesagt. Und sie gehen weg wie warme Semmeln und werden auch sofort und exzessiv gebraucht.
Um die Plaza Major herum gibt es endlich etwas Charme. Gassen und Sträßchen, viele Taperias und Vinotecas. Etwas entschleunigter, aber ebenfalls vollkommen überfüllt. Eine Bekannte von Threads, einer SocialMedia-App, riet mir, den Mercado de San Miguel zu besuchen, da könne man beschaulich Tapas und einen Drink nehmen. Weit gefehlt, ich kam fast gar nicht rein. Aber nett ist es da auf jeden Fall! Ich lief weiter durch die Gassen und kam an einem Laden vorbei, dessen Fassade mit Zetteln zugeklebt war. Das waren alles Wünsche. Ich kam zum Opernplatz, wieder ein Weihnachtsmarkt. Ein Stück weiter Straßen mit ganz tollen Läden. Meine Laune stieg. Ich ließ mich vor einer Kneipe in der Nähe der Plaza España nieder und gönnte mir eine Jarra.
Dermaßen gestärkt lief ich zum Templo de Debod, das ist ein kleiner ägyptischer Tempel, der den Spaniern wegen ihrer Hilfe bei der Versetzung der Assuan-Tempel von den Ägyptern geschenkt wurde. Er liegt auf einem Hügel mit phänomenaler Aussicht und der „Eintritt“ sollte frei sein. Naja, das meiste sieht man von außen, aber ich erklomm die drei Stufen zum Tempelgelände. Nenenee, schallte es mir von einem Polizisten entgegen, ich müsse mich mit einem QR-Code registrieren. Das war etwas kompliziert, aber es gelang mir. Dann sollte man einen Termin wählen, aber für die nächsten drei Tage war nichts frei. „Es ist ja alles ausgebucht! Und es ist nimand auf dem Gelände!“… „Jaaa, vielleicht ließe sich ja was machen.“. Am liebsten hätte ich gefragt, ob er noch alle Tassen im Schrank hat, aber ich will ja auch irgendwann noch nach Sevilla. Etwas angepisst stapfte ich davon. Jetzt zweifele ich gerade. Wollte der nur nett sein, oder blocken er und seine Kumpels alle Termine, um dann gegen Bakschisch Leute reinzulassen? Ach, ich bin durch die vielen negativen Erfahrungen verdorben.
Der Tempel war aber auch so sehr nett und ich sah vom Hügel aus, dass ich in der Nähe der königlichen Hütte war. Eigentlich wäre auch eine Seilbahn in der Nähe gewesen, aber die hat reparaturbedingt geschlossen. Also lief ich zum Palast und guckte mir das Treiben da und vor der Kathedrale des Santa Real de la Almudena an. Zwei Berittene waren die Hauptattraktion des Platzes. Dabei waren es nur Polizisten in gelben Warnwesten. Ich fürchte TikTok hat keinen guten Einfluss auf den Massengeschmack.
Ich setzte mich in einen Bus Richtung Chueca. Das ist das LGBTQ+-Viertel von Barcelona, die Stadt gilt als vorbildlich bei Integration, Vielfalt, Akzeptanz. Um 18 Uhr war da jetzt noch nicht so viel los, aber es gefällt mir da ganz gut. Nur für eine Rückkehr am späten Abend fühle ich mich heute zu ausgepowert. Bin sowieso nicht mehr so der Kneipentyp, man ist da als alter Mann ja auch schnell frustriert. 🙂 Und die zahlreichen „Modeläden“ beweisen, dass ich outdated bin. Das könnte (und wollte) ich wohl alles nicht mehr tragen.
Und dann war auch mal gut. Ich bin etwas versöhnt mit der Stadt, aber auch heute war sie mir zu bombastisch, zu laut, zu voll. Madrid hat aber sehr schöne Ecken und man muss einfach auch mehr Zeit als vier Tage haben und vielleicht auch nicht unbedingt zur Weihnachtszeit hierherkommen. Eine Freundin meinte heute, im Sommer wären ja alle Madrilenen am Wasser, da wäre es leerer in der Stadt. Ich war heute auch an einigen Museen. Die Warteschlange am Prado geht bis nach Bilbao. Thyssen-Bornemisza, Bellas Artes, Reina Sofía… du ahnst es nicht. Interessanterweise gibt es gerade viel deutsches zu sehen: Polke im Prado, Münter im Thyssen, Ernst im Bellas Artes.
Jetzt versuche ich gleich mal, mein Programm für morgen vorzubereiten. Mal sehen, wie weit ich komme. Für heute allen eine gute Nacht und bis später. Liebe Grüße, Euer
P.S.: Spanien scheint das Land der Lottomillionäre zu sein. Anders lässt es sich nicht erklären, dass vor jedem Lottoladen ellenlange Schlangen von Menschen stehen. Ein paar Menschen stehen auch Schlange vor bestimmten Tapasläden. Scheint mir persönlich glückverheißender.
Schlangestehen ist bei uns ja ein Luxusproblem, in anderen Ländern ist es die Hoffnung, ein Stück Brot zu ergattern.