Balkan 2025 (Tag 3): Wein im Guinness oder wie Gerry in den Untergrund ging

Ihr Lieben!

Hat der Gerry wieder zu tief ins Glas geguckt oder was soll die depperte Überschrift? Naja, heute geht es in den – laut Guinnessbuch der Rekorde – größten Weinkeller der Welt, Mileștii Mici. 2007 wurde das entsprechende Zertifikat ausgestellt. Gleich dann mehr dazu.

Der Abend gestern war nicht so entspannend, wie ich es mir gewünscht hatte, da einige andere Hotelgäste wohl ziemlich tief ins Glas geschaut hatten und eine wilde Party auf der Etage starteten. Es wurde laut gegrölt, sollte wohl Gesang sein, dauernd „Hoi!“ gerufen und hysterisch gegackert. Ich stöpselte mir Kopfhörer rein und ließ darüber den Film laufen – übrigens ist die Auswahl meines Streaming-Dienstes in Moldawien stark eingeschränkt. Ich muss mal öfter die Zuhause-Download-Funktion nutzen. Na, irgendwann war dann auch die Party zuende und heute morgen saßen ein paar sehr verkaterte Gestalten im Frühstücksraum.

Gestern habe ich mir ja einen organisierten Ausflug gegönnt; mir war die Gefahr zu groß, dass ich irgendwann orientierungslos mitten in der Pampa strandete. Heute ging es nur etwa 15 Kilometer gen Süden, da hatte ich mir eine Weinkellertour schon daheim gebucht und bin mit einem Taxi rausgefahren. Und damit Ihr auch mal etwas nützliches hier lest: Taxifahrer schlagen hier oft Preise vor, die teilweise absurd sind. Besser ist es, die in Osteuropa sehr beliebte App YandexGo zu installieren und eine Kreditkarte zu hinterlegen. Da weiß man immer, was man bezahlen wird. Die Karte deswegen, weil die Fahrpreise dadurch günstiger werden. Bei Registrierung einer Kreditkarte wird dann ein kleiner Betrag belastet, das waren bei mir etwas über 1 Euro. Die Fahrt zur Weinkellerei kostete umgerechnet 6 Euro.

Das Gelände der Vinuri de Calitate Milestii Mici ist schon sehr nett gestaltet. Alles ein bisschen Fake, aber nett. Springbrunnen, aus denen scheinbar Wein sprudelt, Rosenbeete, mittelalterlich anmutende Pappmaschée-Mauern. Das Gut wurde aber erst 1969 gegründet. Ab da war die sozialistische Sowjetrepublik Moldawien der Weingarten der UdSSR. Einen kleinen Rückschlag erlitt das Weingut Ende der 80er Jahre, als unter Gorbatschow strenge Alkoholgesetze eingeführt wurden, um die Lebenserwartung und die Arbeitsmoral zu steigern. Hat nicht ganz geklappt, aber viele Weinstöcke wurden vernichtet und hunderttausende Weinflaschen zerschlagen. Viele sagen, dass die Prohibitionsmaßnahmen sein Ansehen zerstört haben, er wurde später als Mineralsekretär verspottet.

Milestii Mici konnte nach 2 oder 3 Jahren wieder produzieren. Zudem hatte man 50.000 Flaschen in geheimen Kammern in Bergwerksstollen versteckt. Diese beherbergen nun etwa 2 Millionen Flaschen auf 55 Kilometern Stollenlänge. Weitere 195 Kilometer Stollen stehen angeblich noch zur Verfügung. Die ältesten Weine sind von 1973, da kostet eine Flasche auch mal 2.000 Euro. Wenn man größere Mengen Wein kauft, kann man auch ein Schließfach mieten. Die Führerin erzählte, dass da auch mal Geschäftsleute aus Asien anreisen, um aus ihrem privaten Schatz eine (!) Flasche abzuholen, um sie mit nach Hause zu nehmen; ein Versand wird nicht angeboten. Geht es noch dekadenter? Wahrscheinlich.

Wir fuhren mit einer Elektro-Bimmelbahn durch etwa 5 Kilometer Stollen, hörten uns oben erzähltes an und endeten in einem Weinverkostungssaal, wo wir je nach Buchung platziert wurden. Während der Fahrt boten die jungen, neben mir sitzenden Tschechen an, mit unter ihre Decke zu schlüpfen, die sie bei der Tourführerin erbeten hatten. Aber ich hatte vorausschauend eine Jacke eingesteckt, in Bergwerkstollen ist es ja ziemlich kalt. Schade. Ich hatte bei der Verkostung ein Dreier-Tasting und saß in einer Ecke, in der 3 andere traurige Wein-Taster je einzeln an einem Tisch saßen. Naja, so musste man nicht plaudern. Ich hatte einen fantastischen Riesling, einen guten Merlot und einen klebrigen Dessertwein aus Alligoté-Trauben, dazu Grissini, Wurst, Nüsse und Backpflaumen. Das war sehr nett. Dann spielten noch Musiker an unseren Tischen auf und fidelten und quetschkommodeten Lieder des jeweiligen Herkunftslandes der Säufer. Bei mir gab es „O, du lieber Augustin“ und „Trink, Brüderlein, trink“, zwei absolute All-Time-Favourites von mir. Der Amerikaner bekam Amazing Grace, der Pole eine Polka und bei der Dame aus Pakistan musste das Duo passen, sie bekam eine moldauische Weise vorgetragen. Am Schluss drückte man mir noch eine Flasche süßen Sekt und eine Flasche des Rieslings in die Hand. Was ein bisschen blöde ist, da ich ja heute Nacht wieder im Flieger sitze und sowieso noch eine Flasche Rosé habe. Heute Nacht? Ja, seufz, erzähle ich gleich noch.

Leicht angezwitschert fuhr ich erst ins Hotel zurück, entledigte mich meiner Getränkesammlung und orderte das nächste Auto, diesmal zum Puschkin-Haus, das auch tatsächlich geöffnet hatte. Zu Beginn war ich der einzige Besucher. Nach Entrichtung eines Eintritts von 30 Lei durfte ich mir mehrere Zimmer ansehen, die scheinbar ein wenig wahllos mit Bildern, Möbeln, Dokumenten und Nippes ausgestattet waren. Die Erläuterungen waren auf rumänisch und russisch. Die beiden sehr netten Damen vom Museum redeten leider auch nur in mir unbekannten Zungen. Naja, einiges konnte man sich zusammenreimen, z.B. dass zwei der Zimmer gar nicht Puschkin gewidmet waren. Alles in allem ganz kurzweilig. In zweierlei Hinsicht. Man ist schnell durch und fühlt sich dennoch einigermaßen unterhalten. Ich lustwandelte noch ein wenig durch den handtuchgroßen Garten, da schloss mir eine der Frauen noch ein kleines Häuschen auf und radebrechte, dass hier Puschkin zwei Monate gelebt habe, den Rest seiner Kischinjow-Jahre aber woanders. Das war dann schön zu wissen.

Es waren wieder etwa 254°C und ziemlich genau 123% Luftfeuchtigkeit, mir war nicht wirklich nach Herumlaufen. Ich nahm wahllos einen Bus und stieg wieder wahllos in andere Busse um, bis ich in der Nähe des Hotels war. So kam ich noch an der ein oder anderen Sehenswürdigkeit vorbei, so dem Standbild des in Rumänien und Moldawien bis zur Grenze der Göttlichkeit verehrten Stephan cel mare, dem Museum für Militärkunde mit Helikopter und Lokomotive im Vorgarten und dergleichen mehr. Und da ich mitten in der Nacht aufstehen muss… achja, das wollte ich ja noch berichten…, kaufte ich mir Käsebrote und zwei Bier, um mich danach mit einer halben Schlaftablette hinzulegen.

Als ich die Reise plante, wurden mir für den Flug nach Belgrad auch Angebote des moldawischen Low-cost-carriers Fly-One (oder so ähnlich) angezeigt. Wenn man deren Bewertungen im Netz liest, stellen sich einem die Nackenhaare auf. Da buchte ich lieber Tarom, 10 Uhr morgens, staatliche rumänische Airline. Dieser *§ß%#$* Verein buchte mich aber vor zwei Wochen auf 5 Uhr morgens um, mit einem Stopp in Bukarest von fast 7 Stunden!!! Ich dürfe protestieren. Super. Alle anderen Verbindungen waren inzwischen megateuer oder mit 9 Umstiegen verbunden. Danke für nichts, liebe Tarom Air! Zusätzliche Nebenwirkung: Ihr dürft heute den Bericht zu einer ungewöhnlichen Uhrzeit lesen, da ich ja Schlaf ansparen muss. Hoffentlich komme ich um 2 Uhr aus der Pompfe, muss dann noch duschen, und hoffentlich bekomme ich um die Zeit ein Taxi.

Also, morgen folgt der „Bericht aus Belgrad“. Mit Friedrich Nowo… äh, nee… mit Gerry natürlich. Bis denne, Euer

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