Balkan 2025 (Tag 6): Donau und Save oder Wie Gerry zum zweiten Mal in Jugoslawien war

Ihr Lieben!

Das Dachfenster in meinem Skadarska-Hotel schützt natürlich nicht vor Gästen, die nachts rakijatrunken über die Gänge taumeln und dabei herumkreischen. Herrjeh. Ich saß senkrecht im Bett! Ob der Rakija hier so gut ist, wie der in Sarajevo?

Mein Programm heute war wieder stramm, aber locker, dialektisch halt. Ich plante, Tito meine Aufwartung zu machen (schwierige Person, siehe ebenfalls Bericht zu meiner Bosnien-Reise), das Museum für moderne Kunst zu besuchen, den Gardoš-Turm zu erklimmen, über Donau und Save zu schippern und dann auch noch pünktlich zum Abendessen bei Velika Skadarlija zu erscheinen. Das ist mein Frühstücksrestaurant, für das ich einen Rabattgutschein habe und in dem ich morgens schon einen Platz reserviert habe. Die Bootsfahrt hatte ich noch am Vorabend vom Hotelzimmer aus gebucht.

Zum Frühstück gab es heute den Serbischen Teller. Liebe Ike, falls Du mitliest: ich hatte ein bisschen Angst, dass das in etwa so etwas wie auf unserer Reise nach Edinburgh war (man kann mich danach fragen, sollte es aber besser lassen). Aber es war dann ein Schinken-/Wurst-/Käse-Teller mit Brot. Puh!

Los ging es mit dem Gardoš-Turm, u.a. weil es das entfernteste Ziel war. Der wurde vor knapp 130 Jahren zur Erinnerung der Besiedlung der pannonischen Tiefebene durch Ungarn auf den Überbleibseln der Festung in Zemun errichtet. Von Zemun aus klettert man hunderte Stufen der sogenannten Dabižić-Treppe zum Monument hinauf, um dann im Turm noch einmal 64 weitere raufzukraxeln. Man hat von oben einen spektakulären Blick auf Belgrad und Donau. Der Turm an sich ist auch sehr schön. Schilder weisen darauf hin, dass Graffiti eine Straftat seien, aber in jeden erreichbaren Ziegel auf der Aussichtsplattform hat sich jemand verewigt. Die älteste Eintragung, die ich auf die Schnelle fand, war von 1908.

In uunmittelbarer Nachbarschaft befindet sich die Kirche des Heiligen Großmärtyrers Dimitri. Ich weiß nicht warum, aber ich habe ein Händchen dafür, in Zeremonien zu platzen, diesmal war es eine Beerdigung, die vorbereitet wurde. Ich zog mich dezent zurück. Der Friedhof der Kirche hat auf Google nur 5-Sterne-Bewertungen, aber keine äußert sich zur Liegequalität. Aber es ist schon sehr friedlich dort. Einem der Steinmetze müsste man nur einmal sagen, dass bestimmte Anordnungen von Grabtafeln eher ungünstig sind. Neben dem Turm gibt es eine Restaurant-Terrasse, da gönnte ich mir wieder eine Limonata. Ist schon ein gei… äh… leckeres Zeug.

Auf ins Museum für zeitgenössische Kunst! Das liegt dann auch noch jenseits der Save, quasi in Transsavien, nahe der Donau in einem etwas verwahrlosten und vertrockneten Park. Es war gerade Mittag und die Sonne brannte auf mein ehemals von goldenen Locken gekröntes Haupt. Gefühlt waren es 40°C, das Thermometer zeigte „nur“ 34°C an. Das Museum ist von Außen ein ungelungener Zweckbau, vor dem wie verloren einige moderne Skulpturen herumlungern. An der Kasse erklärte man mir, ich habe Glück, denn da die Ausstellung komplett umgebaut würde, käme ich in den Genuss eines reduzierten Eintrittspreises. Tja, so definiert jeder Glück auf seine Weise. Es blieb nämlich nur eine sehr nette Ausstellung im Foyer übrig, Werke von Dragana Ilić, hier ausschließlich Portraits. Gezeichnet und modelliert. Da waren einige sehr schöne Stücke bei. Aber ich hätte natürlich gerne mehr gesehen.

Als wäre heute Tag der Museen, beschloss ich, das Museum Jugoslawiens zu besuchen. Und tatsächlich war ich als Jugendlicher 1987, sieben Jahre nach Titos Tod, aber noch vor den Balkan-Kriegen, in Jugoslawien. Auf der kroatischen Insel Hvar. Da haben mein Bruder Oliver und ich allerhand Schabernack getrieben. Ohne Helm und Führerschein Motorrad gefahren. Ist verjährt.
Als junger Mann hat mich das Konstrukt der Räterepublik ja beeindruckt. Kroatien hat sich dann 1991 von Jugoslawien abgespalten. Und jetzt das Museum, auch Jugoslawien. Kernstück ist das Mausoleum von Josip Broz Tito (großes Grab) und seiner Frau Jovanka (kleines Grab), genannt das Blumenhaus. Jovanka war 32 Jahre jünger als ihr Mann, starb dann aber auch erst 33 Jahre später. Sie fristete nach Titos Tod ein fürchterliches Dasein.

Die Fahrt ins Museum war abenteuerlich, da Maps mich mal wieder gehörig an der Nase herumführte. Irgendwann stand ich an einer Station, von der ich wusste, hier muss ich den Trolleybus Nr. 40 nehmen, der hält genau vor dem Museum. Allein, der Bus kam nicht. Und Google flötete alle 10 Minuten „Na, wie ist es? Ist der Bus voll?“. Nach 25 Minuten kam einer, der war so voll, da passte keiner mehr rein. Weitere 15 Minuten vergingen, da konnte ich mich in einen reinquetschen. Nach 50 Metern Fahrt stimmte mit dem Stromabnehmer etwas nicht. Alle wieder raus und in den nächsten Bus. Ehrlich, ich fühlte mich fast wie daheim. Langen Wartens kurzer Sinn: Irgendwann kam ich an. Das Mausoleum (s.o.) hatte ich nach ein paar Minuten abgehakt.

Das Museum besteht aus zwei weiteren Teilen, eines davon ein langes, schmales Haus, in dem Devotionalien der Revolution und Gastgeschenke von Staatsbesuchen, Plakate und Waffen, Dokumente und so allerhand anderer Krimskrams untergebracht sind. Das ist teilweise informativ, aber mehr etwas für wahrhaftige Nerds. Im dritten, dem größten Museumsbau konnte nur ein Saal besucht werden. Hier beschäftigte sich eine Ausstellung mit Leben und Wirken von Veljko Vlahović, einem montenegrinischen Politiker der kommunistischen Bewegung. Das war auch eher was für Spezialisten. Ich wusste bis dato gar nicht, dass das eine so zentrale Figur war, ja, dass es den gab.

Der Standortleiter, der für die Vitrinen verantwortlich zeichnet, verdient dfür übrigens keinen Orden. Und Titos Krawattengeschmack? Naja, so war das vor 50 bis 70 Jahren. Aber das Teeservice als Gastgeschenk, das wäre eine Kriegserklärung wert gewesen!

Ich musste langsam zum Boot. Vorher wollte ich noch kurz ins Hotel, um mich frisch zu machen. Das hat auch diesmal wieder gut geklappt. Vom Hotel zum Treffpunkt mit dem Bootsmenschen dann leider wieder nicht. Die Straßenbahn 2 kam und kam nicht, da musste ich zu Fuß sprinten. Das Frischmachen im Hotel war somit für die Katz. Muss in Bulgarien übrigens mal dringend Sachen waschen lassen, bei der Hitze verbraucht man ja dreimal so viel Klamotten wie sonst.

Ich kam dann eine Minute vor dem Termin an, da war aber noch kein Tourguide. Ich setzte mich auf die Stufen einer Schule, wo schon eine italienisch-serbische Kleinfamilie hockte. Wir wechselten drei, vier Wörter. Darko erschien, zählte uns durch und wir liefen den Stadthügel hinunter Richtung Donau, wo er einiges über die auf dem Weg liegenden Sehenswürdigkeiten erzählte. Älteste Bar Serbiens, erstes Basketballspiel in Belgrad, die Kirche dies, das Gotteshaus das, Palast der Fürstin Ljubica. Schon ganz interessant.

Das Boot war pickepackevoll, wir bekamen eine Tourecke zugewiesen. Ich saß durch Zufall mit Papa italiano, Mama srpskaja und Tochter an einem Tisch. Sie wollten mich dann unbedingt zu einem Getränk einladen und ich wollte doch einen Aperol Spritz. Neinnein, das sei ja viel zu teuer… Nix zu machen. Wir haben uns dann auch ganz nett viersprachig unterhalten. Die Ausführungen über den Bordlautsprecher verstanden wir nicht richtig, aber die Fahrt die Save runter, wieder hoch, auf die Donau und zurück war dennoch nett, da wir auch den Sonnenuntergang mitbekamen. Und da ich die so nett fand, ein Appell: Papa (den Namen weiß ich nicht, aber er kommt aus Recanati, dem Geburtsort Beniamino Giglis) hätte – glaube ich – furchtbar gerne einen Audi. Wer sponsort ihm einen?

Um 19:30 Uhr landeten wir an und es war höchste Zeit, ins Restaurant zu kommen, wo ich ja für 20 Uhr reserviert hatte. Diesmal fuhr die Linie 2 und ich war pünktlich. Aber man fand meine Reservierung nicht. Hm, das sei aber schade. Ich würde dann woanders… neinneinnein, da, setzten Sie sich da hin! „Da“, das war eine finstere Ecke, wo der Tisch total versaut war. Ein Kellner kam, räumte den gröbsten Dreck weg, legte mir mit der überschwänglichen Begrüßung“For Dinner?“ Serviette und Besteck hin und entschwand. WHAT? Selbst in der Finsternis konnte man die Flecken auf der Tischdecke Samba tanzen sehen. Ich räumte alles ab, drehte die Tischdecke rum und stellte alles wieder an seinen Platz. Der Kellner erschien wieder und schmiss wortlos eine Speisekarte auf den Tisch. Die ich nicht habe lesen können, weil es so finster war. Wein- und Getränkekarte hatte er sowieso nicht mitgebracht, also schaute ich online. Tja, ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich hatte dann Wartezeit, obwohl der Herr Ober dauernd um andere Tische herumscharwenzelte, und so verstieg ich mich in den Verdacht, ich sei keine Kunde, den er gerne hätte. Und ging. Also, wenn die Damen gesagt hätten, Mist, da hat wer gepennt, tut uns leid… alles ok. Aber sie haben es durch den Katzentisch leider schlimmer gemacht und so komme ich jetzt nicht herum, eine übellaunige Rezension zu schreiben. Ich hatte keine Lust, jetzt überall wieder nachzufragen, es war wieder alles sehr voll, und so versorgte ich mich an einer Imbissbude mit einem Sandwich zum Mitnehmen und im Kiosk mit einer Flasche Wasser. Wein hatte ich ja noch ausreichend. Und so versorgt begab ich mich ins Hotel, wo ich gerade diese Zeilen zu Papier… ähja.

Das war wieder ein Tag! Eine Freundin schrieb heute, dass ich ja wohl Urlaub bräuchte, wenn ich wieder zuhause sei. Wahrscheinlich hat sie recht. Aber es war wieder sehr erlebnisreich. Das mit dem Kunstmuseum finde ich etwas traurig, aber der Turmbesuch, das andere Museum und die Bootsfahrt waren total nett. Ich bin immer noch nicht in Belgrad verliebt, aber es ist eine spannende und vielseitige Stadt, die durchaus einen mehrtägigen Besuch verdient.

Morgen fliege ich nach Sofia, eingecheckt bin ich bereit. Ich befürchte, wir propellern uns wieder von hier fort. Aber der Flieger geht erst gegen 13 Uhr, ich werde lange ausschlafen, lange frühstücken und dann ganz gemütlich zum Flughafen gondeln. Wir sehen uns dann morgen Abend in Bulgarien! Ich freue mich dort auf Euch, Euer

P.S.: Die kanadische und die deutsche Botschaft liegen sich in der Kneza Miloša gegenüber. Beide haben die Regenbogenflagge gehisst. Das ist in Serbien unter den momentanen Umständen ein sehr starkes Zeichen! Ich liebe es! Leider aus dem fahrenden Bus heraus aufgenommen, daher fast eher Suchbilder.

Dies ist kein politischer Blog, aber der Autor ist nicht unpolitisch. In Serbien kommt es derzeit landesweit zu vielen Protesten, die auch gewaltsam niedergeschlagen werden. Zudem gibt es Gewalt gegen LGBTQIA+-Personen. Wollte ich nicht unerwähnt lassen.

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