Ihr Lieben!
Heute ließ ich mal wieder jemand anderen meine ToDos organisieren. Gestern Abend buchte ich den letzten Platz in einem Ausflugsbus zum Milleniumkreuz, mit Seilbahn, juchhee!, zur Matka-Schlucht und in ein Ethnodorf. Ja, habe ich mich auch gefragt, was das wieder sein soll. Zudem sollte ein Stopp bei der Panteleimon-Kirche in den Bergen eingelegt werden, die überregionale Bekanntheit genießt.
So hieß es wieder früh aufstehen, naja, halt so, wie wenn ich ins Büro… igitt, böses Wort…, schnell frühstücken und ab dafür an den Treffpunkt, der am Eingang zur Festung war. Schon um 8:30 Uhr war es ziemlich heiß, so als wäre gestern nix gewesen. Die Sonne strahlte mit sich selbst um die Wette. Es gab einen kleinen Minibus (Führung auf mazedonisch?) und einen großen Minibus für die englischsprachige Truppe. Die war wirklich kunterbunt. Franzosen, Japaner, Türken, Brasilianer, Australier, Deutsche, Spanier, USAmerikaner. Als Einzelreisender hatte ich das Glück, den Klappsitz am Einstieg zu bekommen. Das hieß, immer als erster raus und im Falle eines Fotomotivs freie Sicht auf das Objekt. Das ist bei einer Gruppe von 24 Menschen schon ein Vorteil. Hihi.
Unser erstes Ziel war der Stausee im Matka-Canyon. Die Fahrt dauerte etwa eine halbe Stunde, es kam mir aber wie drei vor, denn unsere Reiseführerin Olivia feuerte uns in einer nicht enden wollenden Salve mit Informationen zu. Sie sprach ohne Punkt und Komma, und je nachdem, was es zu sehen gab, wechselte sie mitten im Satz das Sujet. Alexanderwurdeumdreihundertsiesehenhintenübrigensdiebrückedeszweitenaugustwoderpartisanborislinksdanndieältestekieferskopjesaberzurückzualexander. PUH! Das forderte einiges an Konzentration, das so schnell zu sortieren, wie es aus Olivia herausperlte. Wir machten wohl auch einen kleinen Schlenker, damit wir ein paar interessante Orte zu sehen bekamen, wie die Orhid-Kirche oder das im allerfeinsten brutalistischen Stil gehaltene zentrale Postamt oder das Weiße Haus.
Die Matka-Schlucht. Hier wurde angeblich, ich bin zu faul für einen Faktencheck, das erste Wasserkraftwerk Europas installiert. Man hält ein wenig außerhalb, es wird später eng und voll, und läuft etwa 10 Minuten bergauf bis zu einem Bootsanleger. Hier standen zwei Luxusboote mit weichen Polstern und ich dachte schon, wow, das wird nett. Man hieß uns warten und kam mit einer Holzbarke an, die noch nicht einmal Sitzkissen hatte. Ich fühlte mich diskriminiert. Hatte Olivia zu wenig Bakschisch bezahlt? Und dann gibt es ja immer den einen Touristen, der dann doch noch schnell aufs Klo… der war bei uns natürlich auch dabei und verärgerte den Schiffsführer ein wenig, weil er auch noch ewig brauchte. Der Bootstrip war übrigens nicht inkludiert, ich blechte 500 Denar.








Tja, war dann ganz nett. Man schippert ein bisschen den Stausee entlang, eingerahmt von hohen Bergen und viel Grün. Ab und zu begegnete man einem anderen Boot oder überholte tapfere Kayakfahrer. Irgendwann kommt man an einer Höhle an, zu der man hinaufklettern muss, um dann wieder in sie hineinzuklettern. Es schimmert ein bisschen geheimnisvoll, es gibt so etwas wie Stalaktiten, eher eine Ahnung davon und am Ende der Stufen hinab faulenzt ein See. Auch hier keine Prüfung, aber: Es soll der tiefste Höhlensee der Welt sein, man kam bis auf 400 Meter hinunter und konnte noch keinen Grund feststellen. Wir sahen hingegen nur einen Teich von der Größe meines Hotelzimmers. Hier noch ein Tipp für Bootsfahrten: Wir hatten gut Fahrtwind, und wenn die Frau mit dem Chanel No. 5 vorne sitzt, musst Du noch weiter vorne sitzen.
Es ist ja ohnehin so, dass Orte mit Superlativen werben. Altius, citius, fortius gilt nicht nur bei Olympia. Weiß Gott, wie viele erste Metrostationen, wie viele höchste Sakralbauten, wie viele sauberste Strände ich schon gesehen habe. The most west-southern point in the north-east halt.
Aber zurück zum See, immerhin sah ich eine Fledermaus in der Höhle. Die größte Fledermaus der Region. Oder die älteste. Weiß nicht genau. Wir tuckerten den Weg wieder zurück und hatten ein wenig Freizeit. Das kleine Kirchlein vor Ort war geschlossen, irgendwo hinsetzen sollten wir uns aus Zeitgründen nicht, daher bedeutete Freizeit in diesem Fall herumlungern. Coffee to go war noch drin oder ein Eis. Wir liefen zum Bus und es war schon deutlich voller, uns kamen regelrechte Völkerwanderungen entgegen. Olivia merkte an, dass am Wochenende hier die Hölle los sei. Glaube ich!







Wir fuhren, diesmal ohne große Erläuterungen, zur Kirche St. Panteleimon. Wunderhübsches, kleines Ding. Man musste auch hier noch einmal in die Tasche greifen, wenn man reinwollte. 2 Euro. Dafür erläuterte dann Herr Goran, was es mit was auf sich hatte. Ich fürchte, der Arme macht das zehn- oder zwanzigmal am Tag, irgendwann war die Begeisterung auf der Strecke geblieben. Es war schwer, seiner heruntergeleierten Vorlesung zu folgen. Die Kirche hat mich ein wenig an die in Bojana erinnert, die ich noch einen Tacken spannender fand, aber immerhin durften wir hier Fotos der Wandmalereien machen.







Das ethnografische Dorf befand sich dann direkt gegenüber der Kirche. Es stellte sich heraus, dass es Teil des „Projektes Skopje 2014“ war. Und wie alle Prestigeprojekte war auch dieses ein wenig peinlich. Man hat ein paar hübsche Häuser um ein Folkloremuseum gruppiert, ein Restaurant mit massenweisen Sitzplätzen drangeklatscht und drei oder vier Kunstwerk-Läden lizensiert. Ein langweiliges Pseudo-Gebirgsdorf entstand. Immerhin durften wir in der Silberschmiede einen Brocken aus mazedonischem Marmor bestaunen, sowie die berühmten mazedonischen Rubine, die, ich muss es zugeben, schon etwas besonderes sind. Im Folkloremuseum erstand ich eine Replik eines Ochsen aus dem 2. Jahrhundert, ein weiteres Stehrümchen, das beim Putzen im Weg ist. Aber ich mag es. Wir hatten keine Zeit, aber zumindest sah es so aus, als wäre das Restaurant nicht das schlechteste. Die Auslagen in der offenen Küche sahen verlockend aus.





Letzter Programmpunkt war dann die Seilbahnfahrt zum Millenium-Kreuz auf dem Vodno-Berg. Immerhin knapp über 1000 Meter hoch. Die Seilbahnfahrt beginnt aber erst in den Bergen und dauert keine 10 Minuten. Natürlich wurden wir als 6er-Gruppen vorsortiert, eine Einzelfahrt mit meinem üblichen theatralischen Selfie-Video-Gejammer, dass wir alle sterben werden, kam also nicht in Frage. Ein anderer Alleinreisender ging mir dabei schwer auf die Hibiskusblüten. Er stand auf, lief hektisch hin und her, hielt seine GoPro-Kamera aus allen Fenstern und scherte sich keinen Deut darum, dass wir anderen weder seine Wampe noch sein Gesäß gerne in der Sicht hätten.
Oben ist es schön. Die Aussicht ist ein Träumchen! Ich fotografierte Südmazedonien, ich fotografierte Ostmazedonien. Und ich fotografierte Westmazedonien. Das Kreuz selbst wurde zum Gedenken an 2000 Jahre Christentum 2002 errichtet und besteht aus einer symbolträchtigen Architektur. Soundsoviele Säulen für die Apostel, soundundsoviele Streben für die Evangelisten, soundsoviele Stockwerke für die Lebensjahre Christi. Wahnsinn. Und dennoch strahlt es den Charme eines in die Jahre gekommenen Strommastes aus. Das Kreuz hat auch Gesellschaft bekommen: Den AEC Telecommunication Tower, der eine interessante Architektur aufweist. Die beiden Zwillinge (zweieiig) sieht man auch von der Altstadt aus. In der muslimischen Gemeinschaft Skopjes empfindet man das Kreuz als Provokation. Ich sachma so: Die ganze Stadt besteht aus Kirchen und Moscheen, und es bimmelt und muezzint hier dauernd um die Wette. Was sollen die Juden, Atheisten und Buddhisten sagen?





Ich tat, was Gerry an mehr oder weniger anstrengenden Tagen gerne tut: Ich trank ein Bier und genoss die Aussicht. Pünktlich um 5 Minuten vor 15 Uhr mussten wir uns wieder an der Seilbahn einfinden, denn, und jetzt kommts: die machen dauernd Pause! Dann geht einfach mal eine halbe Stunde nichts mehr. Also, ich gehe davon aus, dass die schon noch alle Leute aus den Fahrzeugen holen. Hoffentlich. Und wir sollten den Reigen hinunter starten. Olivia bat mich dann, die erste Kabine als sechste Person vollzählig zu machen. Und da stand wieder diese geistige Totgeburt von der Auffahrt. Ich sagte für alle laut und vernehmlich, dass ich nicht plane, ein weiteres Mal mit dieser Arschkrampe eine Kabine zu teilen. Da ich die Übersetzung für Arschkrampe nicht kenne, benutzte ich allerdings den Ausdruck bloody twat, in etwa verdammter Idiot. Ich fuhr dann mit zwei mazedonischstämmigen Australiern samt Tochter und zwei weiteren Deutschen hinunter und alle meinten, der sei wirklich eine unangenehm-auffällige Figur. Die Tochter hatte Höhenangst und krampfte ihre Hand um alle Haltestangen, ich fühlte sehr mit ihr. Ich erzählte ihr, dass ich meine Höhenangst durch ständige Herausforderung sehr gut im Griff habe. Die Fahrt in die Stadt dauerte dann nur mehr 15 Minuten. Das war insgesamt sehr nett. Der Höhepunkt war der Höhenpunkt, wegen der schönen Ausblicke. Aber die Kirche war auch Klasse!
Unten in der Stadt musste ich erst einmal in den Supermarkt, da ich beschloss, schon Einkäufe für Pristina zu tätigen. Diesmal muss ich ja durch keine Sicherheitskontrolle. An der Kasse war nicht klar, wo man sich anstellen sollte, was etwas Hektik verbreitete. An der einen funktionierte die Bon-Maschine nicht, an der mittleren diskutierte ein Mann mit der Kassiererin seine 500 Sachen umfassende Besorgung. Wir wurden zu Kasse 3 gewunken, die aber nach 30 Sekunden von der Einkaufskontrolle wieder verlassen wurde. Ich seufzte auf deutsch, wo ist sie denn nun hin?, da stellte sich heraus, dass die Dame vor mir auch aus Deutschland kam, Flugbegleiterin und noch nie in Skopje gewesen. Sie fand, dass es sehr mutig für einen alten Mann sei, alleine über den Balkan zu reisen. Ich erwiderte, es sei sehr mutig, das so zu formulieren. Sie lachte, und wir haben noch kurz nett geplaudert.
Ich eierte ins Hotel, machte mir einen Nescafé und begann mein Tagebuch. Eigentlich ist das ja ein furchtbares Zeug (der lösliche Kaffee, nicht mein Tagebuch), aber ich hatte so eine Cappuccino-Variante „3in1“, da könnte man sich glatt dran gewöhnen. Ist eben kein Kaffee. Um 19 Uhr machte ich mich dann stadtfein und versuchte es im 7Skara, wo ich gestern wegen Überfüllung (des Restaurants, nicht meinereiner) abgewiesen wurde. Was ja zu einem anderen schönen Erlebnis, dem Weintasting, führte. Diesmal hatte ich Glück, zwar war die Terrasse bis zum St. Nimmerleinstag ausgebucht, aber man hatte einen Platz im offenen Eingangsbereich für mich. Ich hatte Gehacktes und Salat, Pommes und Pepperoni. Wie scharf das denn sein dürfe? Joa. Mit viel Knofel? Gerne. Als das Essen kam, war halb Skopje benachrichtigt. Man versammelte sich um meinen Tisch und wartete auf den ersten Bissen. Und man applaudierte, als ich nicht in Schweiß ausbrach.

So, Quatsch beiseite. War die Hölle, aber niemand hat es gesehen. Und ich habe mich im Laufe des Abends daran gewöhnt. Es war wieder von allem viel zu viel. Und dennoch habe ich nur knapp über 1.000 Denar bezahlt. Köfte, Pommes, Salat, Pepperoni, Wein, Wasser. Und einen Rakija. Was es denn da gebe? Man habe nur einen. Und den brachte man in einem Kölschglas. Naja, einem sehr kleinen Kölschglas. Heute Nacht ist Randale vorprogrammiert! Hoi!
Da ich erst um 10 Uhr und Zerquetschte am zentralen Busbahnhof sein muss, werde ich einen entspannten Morgen haben. Heute schaue ich noch nach der eSIM für den Kosovo, lade mir eine Taxi-App für Pristina aufs Handy, das Übliche halt, was man am Vorabend der Abreise in ein neues Land so treibt. Und schaue mal, was es für Ausflüge gibt. Seid Ihr dabei oder schon leicht erschöpft? Liebe Grüße, Euer


Ich hatte mal einen Kollegen, der mit mir in GUS-Projekten unterwegs war. Ich lernte kyrillisch und ein bisschen russisch. Er meinte, er müsse das nicht, denn er wisse, wenn er Pectopah lese, bekäme er da was zu essen. Er ruhe in Frieden.
