Ihr Lieben,
wie verwöhnt man eigentlich ist, merkt man oft erst, wenn es zum Frühstück zum Beispiel ein perfektes Omelett gibt und man sich mehr darüber freut, als über den Meistertitel im Bergwandern (den ich aus meiner Sicht ja klar verdient und mir deswegen vorgestern selbst verliehen habe). Die Freude wird nur dadurch etwas getrübt, dass das Frühstück auf der sehr windigen Dachterrasse serviert wurde und ich kurz überlegte, ob ich meine Winterjacke aus den Tiefen des Koffers hervorfischen sollte.

Heute ging es über sehr sehenswerte Umwege zurück nach Porto Novo zur Fähre nach Mindelo. Calú holte mich um halb 11 Uhr ab und wir fuhren zuerst nach Fontainhas. Nivaldo meinte ja vorgestern lakonisch, das wäre easy, das könnte ich ohne Guide problemlos in zwei Stunden reißen. Ich bezweifle das, denn die Straße ist natürlich gangbar, aber mit einem Auf und Ab und gefühlten 1000 zu bewältigenden Höhenmetern. Für fitte Wanderer lohnt es sich auf jeden Fall! Wir fuhren die übelsten Steigungen mit dem Auto, die einfachere Reststrecke lief ich dann. Fonteinhas hat definitiv Chancen auf den Titel „A aldeia mais bonita de Cabo Verde“.






Von Fonteinhas aus fuhren wir weiter durch Coculi, einem kleinen Ort bei Ribeira Grande, bis zu einem kleinen Viadukt, wo wir wendeten. In „Klikly“ (Kreol) gibt es eine schöne Kirche im Kolonialstil zu besichtigen. Sehr nett. In Ribeira Grande selbst war so viel Trubel, dass wir nur einen Tankstopp machten und ansonsten durchfuhren.








Der untere Teil des Nationalparks Ribeira da Torre bei Xôxô war nächster Anfahrpunkt. Ein Tal ist hier schöner als das andere! Ich war auf seeehr vielen Inseln, Ihr wisst es. Aber Santo Antão hat es aus dem Sprung in die Top 5 geschafft!




Weiter ging es zur alten Passstraße. Leute, die gehört ins Pflichtprogramm für Santo Antão! 1916 wurde der Bau begonnen. Sie ist über 30 Kilometer lang, geht bis auf 1300 Meter hoch, besteht ausschließlich aus Kopfsteinpaster, dazu Begrenzungsmauern und erforderliche Befestigungen. Der Bau dauerte 15 Jahre und stellt in meinen Augen eine unfassbare Ingenieursleistung dar. Soll ich wieder über die Kölner Oper witzeln. Ach nee, es ist einfach zu traurig. Da würde nach 15 Jahren noch die Fachgruppe „Auswahlverfahren Kopfstein“ zu keinem Ergebnis gekommen sein.
Wir nahmen eine halbe Schulklasse aus Ribeira auf der Ladefläche von Calús Auto bis nach Corda mit, die wahrscheinlich nichts dagegen hatten, dass ich ab und zu mal für ein Foto stoppen wollte. Sie haben auch sehr gekichert, als ich sie auf Kreol begrüßt habe. Das kann nur an meiner charmanten Art gelegen haben, denn meine Aussprache erscheint mir perfekt! 😜









Es ist eine spektakuläre Fahrt! Wir fuhren bis in die Wolken, die uns dann natürlich leider den Blick auf den Krater von Cova versperrten. Und weil es so bewölkt war, sparten wir uns auch den Schlenker zum Pico da Cruz, wo wir lt. Calú wenig zu sehen bekämen.








Der Rest der Strecke war dann eher unspektakulär. Man sah aber sehr schön, wenn auch dunstig, die ganze Zeit auf Porto Novo und São Vicente, Santa Lucía und São Nicolão. Da kamen wir zwei Stunden vor Abfahrt der Fähre an und es wäre beim Ausflugspreis noch ein Mittagessen im Hafenrestaurant inkludiert gewesen (wenn ich das richtig verstanden habe), aber ich wollte mal einen Moment für mich sein und verabschiedete mich, trank ein Bier, aß einen Snack und boardete. Die Überfahrt war ruhiger als Samstag. Am Hafen wartete ein Fahrer, der mich die drei Meter in die Rua Angola zur neuen Bleibe brachte, dem Orietta Residencial. Da bekam ich ein zwar schönes, aber direkt hinter der Rezeption und zur Straße hinaus gelegenes Zimmer. Bisserl laut. Aber inzwischen bin ich es gewohnt. Und habe Ohrstöpsel der Marke „hierkönnteihrewerbungstehen“.









Beim Verlassen des Schiffs blieb übrigens der ein oder andere Pickup hängen und musste befreit werden, siehe Foto. „Ich habe wirklich nur das nötigste gepackt!“. Ich war mal mit einer Freundin für eine Woche in der Türkei, die hatte zwei große Koffer dabei, davon einen nur für Schuhe. Da musste ich irgendwie dran denken.
Ich wollte jetzt vor dem Abendessen nur einen kleinen Cocktail trinken, setzte mich in die hauptsächlich von Einheimischen besuchte Bar „Algarve“ auf die Terrasse und traf auf Scott und Madita, er Brite, sie Lettin. Beide leben hier, sind weitgereist, hatten viel zu erzählen und es blieb nicht bei einem Caipirinha, der übrigens gar keiner war, aber dafür ziemlich preiswert und lecker – mehr ein „Groguecuja“. Als es – irgendwie passiert das ja immer – politisch wurde, musste ich dann aber leider gehen.
Ich schaffte es mit Ach und Krach vor Ladenschluss in den Supermarkt und ergatterte anschließend noch einen Tisch im Nautilus für eine Espetada mit Massa do Milho, einem Schweinespieß mit der traditionellen Maisspeise, die an Polenta erinnert. Dazu Piri-Piri, die scharfe Sauce, die hier auf den Inseln besonders gut schmeckt. Die Livemusik war auch wieder super. Als die Sängerin das berühmte Lied Sodade, Sehnsucht, anstimmte, überkam mich ein unglaubliches Glücksgefühl. Ein Leben ohne Reisen ist für mich schwer vorstellbar. Selbst der arrogante Italiener am Nachbartisch, der seine Begleitung und das ganze Lokal lautstark über die Vorzüge seiner Yacht informierte, konnte den Moment nicht kaputt machen.





Jetzt sitze ich in meiner Casa Residencial und höre, während ich dies schreibe, Morna-Musik über Youtube. Im Moment kann ich nur ein Teilurteil fällen, aber die Reise ist bisher wirklich toll. Klar, „no stress“ ist eine Erfindung, um Touristen zu demütigen**, und es gibt andere Einschränkungen, wie grauslige Hotelbesitzerinnen. Aber ich bin mehr als positiv überrascht.
Morgen? No Stress! I don’t know. Weihnachten ist vielleicht ein Problem, niemand weiß genau, ob die Läden geöffnet sind oder auch nicht. Selbst die Inhaber nicht.
Feiert Ihr morgen mit mir Heiligabend? Gerne einfach auch einen oder zwei Tage später. Liebe Grüße, Euer

*) jaja, mir gehen die Ideen aus… 😁
**) Im Hotel heute früh bei einem jungen französischen Pärchen war im Badezimmer etwas kaputt. Man sagte ihnen, man kümmere sich darum, no stress. Daraufhin sie: Si j’entends encore une fois „no stress“, je tire.
P.P.P.S.: was für ein toller Tag! 🤩