Cienījamie lasītāji!
Mein erster von vielen Spaziergängen heute führte um 3 Uhr früh zur Rezeption des Hotels. Die Musik aus der Bar gegenüber wurde immer lauter, das Publikum wurde immer fröhlicher, ich wurde immer aggressiver. Auf meine Frage hin, wann die Bar wohl erfahrungsgemäß schließe, teilte man mir mit, das könne bis fünf oder sechs Uhr gehen. Ich bat darum, mir ein anderes Zimmer zuzuweisen. Dies ginge leider nicht, so die Auskunft.
Ich hatte eine gruselige Nacht (trotz Ohrstöpseln), und sofort nach dem Frühstück heute, das übrigens zwar reichhaltig und okay, aber nicht besonders hochwertig war (viel Tetrapack und Dose), eilte ich wieder zur Rezeption, um meinem Wunsch nach einem anderen Zimmer erneut Nachdruck zu verleihen. Man versprach, mir am Nachmittag ein neues Zimmer im Klosterinnenhof zu geben, ohne Bar in der Nachbarschaft. Dann startete das Projekt Riga rigoros.
Ich fand mich um kurz vor 10 Uhr früh an der Kirche St. Peter ein, um dort an einer kostenlosen Tour von „Riga Free Tours“ über nahezu zwei Stunden teilzunehmen, die durch die Rigaer Altstadt führen sollte. Wenn ich alles aufzählen würde, was wir gesehen haben, müsstet ihr gar nicht selbst mehr nach Riga fahren, weil ihr über alles Bescheid wüsstet. Natürlich viele der Hauptattraktionen, wie das Schwarzhäupterhaus, den Rigaer Dom, die Petrikirche und viele, viele andere Attraktionen.
Das interessante an dieser Führung war, dass unser Führer Kaspars viele Hintergrundinformationen gab, die so nicht im Reiseführer stehen, zumindest nicht immer. So ist vieles der angeblich historischen Altstadt ein Fake. Es ist schlicht rekonstruiert worden. Wie z.b. das Schwarzhäupterhaus, das nicht etwa renoviert wurde, sondern 1999 wieder komplett neu aufgebaut. Nur Teile der Fundamente sind noch alt. Man muss eben alles hinterfragen!
So z.b. die Geschichte von dem lettischen Kaufmann, dem die Aufnahme in die deutsche Gilde verwehrt wurde, mit der Begründung, er sei nur ein Bauer. Dieser hat dann angeblich ein Haus bauen lassen, auf dessen Giebel er Katzen stellte, die mit ihren Hinterteilen auf das deutsche Gildehaus zeigten. Dies ist wohl, wie uns Kaspars erklärte, eine Fabel. Die wäre erfunden worden, da viele Touristen nicht akzeptierten, dass einfach jemand grundlos eine Katzenskulptur auf sein Haus stellt. Allein zeitlich passt die Geschichte ja auch gar nicht zur Zeit des Jugendstils, in dem das Haus definitiv errichtet wurde. Also, vieles ist echt, vieles ist falsch, vieles ist Mittelalter, vieles ist Barock, vieles ist Rokoko, vieles ist Neoklassizismus, vieles ist Jugendstil; es ist diese Mischung, die Riga den Weltkulturerbestatus beschert hat.
Wir besuchten auch das Haus des ersten sowjetischen Rockclubs in Riga, sahen die Synagoge von außen, erfuhren interessante Dinge über die russische Filmindustrie (für Nazis wurden immer Balten gecastet und Sherlock Holmes wohnte auf der Jauniela-Straße), liefen an der Stadtmauer lang (Achtung: Teilfake) und dergleichen mehr. Sehr informativ und sehr gut vorgetragen. Am Parlament erzählte Kaspars, dass von den sieben vertretenen Parteien keine populistische oder nationalistische Ideen propagiere. Das junge Europa halt.
Am Endpunkt unserer Führung, wo natürlich jeder reichlich Trinkgeld gab, bestieg ich den Turm von St. Peter. Naja, vielmehr fuhr ich nach ca. 20 Stufen mit dem Aufzug auf den Turm. Von dort aus hat man einen wunderbaren Ausblick auf ganz Riga. Unbedingt machen!
Danach lief ich auf eigene Faust herum, um weitere Sehenswürdigkeiten zu erkunden. So z.b. die Markthallen, die natürlich an einem frühen Nachmittag schon recht geräumt wirkten. Dann ging es zum Zuckerbäckerhaus der Akademie der Wissenschaften (auch Stalins Torte genannt), dass mich sehr an ähnliche Bauten in Moskau erinnert hat. Weiter ging es am Stadtkanal entlang, an der Nationaloper vorbei, am Freiheitsmonument, an der berühmten Laima-Uhr (eine lettische Schokoladenmarke) sowie am Basteihügel, wo 1991 zwei Journalisten bei den Unruhen im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit umkamen. Ich sah das Häuserensemble der „drei Brüder“ (in Vilnius gibt es die drei Schwestern, im ostfriesischen Norden die „dree Süsters“; ich vermute, die Zahl der Drillinge ist Legion), das Stadtschloss, das Kloster, das Parlament, und ich wohnte einer Taufe in einer kleinen Kirche bei, dies aber uneingeladen.
Viele Dinge erinnern an norddeutsche Hansestädte, so gibt es hier z.b. die Bremer Stadtmusikanten, einen Roland, die Bremer Stadtschlüssel. Auch die Sakralbauten sind sehr in norddeutschem Stil gehalten, mit roten Ziegelsteinen und innen unprätentiös protestantisch. Wirklich oft sieht man deutsche Inschriften, was merkwürdig anmutet. Gedenktafeln auf Deutsch, Häuserinschriften, Straßennamen. Selbst Büsten und Skulpturen von deutschen Gelehrten, Literaten und Architekten finden sich an jeder Ecke.
Etwas Besonderes war der Besuch der jüdischen Synagoge, die die Nazizeit nur überstanden hat, weil diese sich nicht trauten sie anzuzünden, weil sie sonst wahrscheinlich aufgrund der engen Bebauung die gesamte Altstadt von Riga dem Feuer geopfert hätten.
Am späten Nachmittag habe ich mich dann in dem gleichen Restaurant wie gestern Abend niedergelassen. Ich hatte einen wunderbaren Salat mit Entenbrust und Mango, mit einem Himbeerdressing, Kirschtomaten, und Himbeeren. Dazu das gute lettische Bier. Ich besuchte noch die Kirche St. Johannis, die bekannt wegen ihres Deckengewölbes ist, das einem riesigen Spinnennetz gleicht. Es gab schöne Orgelmusik vom Band und ich spendete eine Kerze für einen guten Urlaub. Eigentlich hätte mich ja der Blitz treffen müssen. Ist aber nicht geschehen, so hoffe ich das Beste.
Mein nächster Gang führte mich in einen Alkoholikermarkt, entschuldigung, ich meinte einen Alkoholmarkt, entschuldigung, ich meinte ein Geschäft, in dem man Wein kaufen kann. Ich sag nur: der Preis ist heiß. Die Ostseeanrainerländer fordern Abstinenz geradezu heraus. Naja, ich möchte ja nicht sagen, dass dies etwas Schlechtes sei.
Ich erstand das Nötigste für meinen Aufenthalt in Riga und begab mich wieder in mein Konvent. Man hat mir tatsächlich ein neues Zimmer gegeben, ich zog um vom „Haus am Klostertor“ zum „Haus der grauen Schwestern“ in ein Zimmer mit Blick auf den Innenhof und, so die Rezeption, garantiert ohne Kneipe in der Nähe. Es ist in der Tat viel sauberer und aufgeräumter als das alte Zimmer, und ich werde mich hier deutlich wohler fühlen. Picobello wäre hier trotzdem übertrieben. Eine Renovierung wäre auch hier angebracht.
Nach einem ungeplanten Schläfchen (wollte nur die Matratze testen), lief ich abends noch ein bisschen ziellos durch die Altstadt. Alles ist dort dicht beieinander. Man sieht alles sehr schnell wieder.
Abends aß ich Schweinekotelett lettischer Art (mit grüner Käsehaube, ganz schmackhaft) und jetzt gleich freue ich mich auf eine ruhige Nacht.
Bis morgen, wenn Ihr mögt. Euer Gerald
Eine schöne Tour. Ich bin heute erst ins Reisetagebuch eingestiegen (Tag 13!), aber nun reise ich gedanklich hinterher und erfreue mich an deinen Ausführungen.