Ihr Lieben,
womit soll ich anfangen? Es ist seit dem letzten Eintrag so viel passiert. Wir sind übervorsichtig früh von unseren jeweiligen Heimstätten zum Zug aufgebrochen. Immerhin war ja Sessionsbeginn im Karneval und wir mussten zwischen 11 und 12 Uhr fahren. Karnevalisten verstehen jetzt unsere Sorgen. Es ging aber irgendwie alles sehr glatt vonstatten, so dass wir weit mehr als zwei Stunden vor Abflug am Check-in in Düsseldorf standen. Ich bin seit mehr als tausend Jahren mal wieder Skytrain gefahren, das hat ja was von Phantasialand! Und am Flughafen war nichts los. 10 gelangweilte Abfertiger*innen mussten sich um 3 Passagiere kümmern. Dieses unerwartete Nichtschlangestehen hat Otto sehr gestresst, weil er, wie er betonte, sich gerne mental in endlos langen Warteschlangen auf die Abfertigung vorbereitet.
Nach der Zoll- und Passkontrolle nahmen wir dann erst einmal ein Getränk zu uns. Wir besuchten dafür ein etwas merkwürdiges Etablissement, in dem es zwar vorne nur Selbstbedienung, aber mit Bierservice gab, aber keinen Weinservice. Man hätte Wein aus einer Plastikflasche aus dem Kühlregal trinken müssen. Der Kellner brachte dann aber auf Nachfrage nach der Logik einen vernünftigen Wein an den Tisch und wir schlossen ihn dafür umgehend in unser Herz.
Der Flieger von Düsseldorf nach München war unglaublich leer. Die 25 Euro pro Sitzplatz mit Beinfreiheit hätten wir uns schenken können. In München dann auch fast alles wie ausgestorben. Wir verloren etwas Zeit durch einen Ausstieg auf einer Außenparkposition und dadurch, dass unser Gate am anderen Ende des Universums lag. Trotzdem nahmen wir uns die Zeit, noch einen kleinen Schluck zu uns zu nehmen. Ich bekam einen grausigen Pinot Gris (hier trifft der Name doppelt zu) zum Preis eines Mittelklasseautos und Rolf musste – nachdem ihm mitgeteilt wurde man hätte nur noch Dunkelhelles – dreimal nachfragen, was das denn bedeute. Die Antwort war immer „Naja, Dunkelhelles halt“. Mich würde interessieren, ob es das wirklich gibt. Schon allein der Wahrheitslüge wegen. Er bekam ein braunes Bier.
Dann der Schock beim Eintreffen an unserem Abfluggate. Pickepackevoll. Heilloses Chaos beim Check der Mitflugwürdigkeit der Passagiere. Nämlich PCR-Test und Gesundheitseinreiseerklärung. Und dann 11 Stunden Flug in einem gefühlt 20 cm breiten Sitz mit einer Sitznachbarin, die sich wahlweise im Schlaf an meine Schulter kuschelte oder mir voll mit dem Ellenbogen einen Schlag in die Wirbelsäule reindeute. Wir hatten alle wieder viel Geld für einen sogenannten XL-Seat ausgegeben, aber unter XL verstehe ich immer noch etwas anderes als die Lufthansa. Immerhin konnten wir uns aber nach vorne beliebig lang ausstrecken. An Schlaf war trotzdem nicht zu denken. Zudem bin ich mit einem halben Dutzend Kissen bewaffnet gereist, um es mir in allen möglichen Liegeslagen bequem zu machen, und so habe ich immerhin gemütlich gelitten. Eine von den Schlaftabletten zu nehmen, die mir unter Vorbehalt geschenkt wurden, habe ich mich dann doch nicht getraut.
Naja, irgendwann landeten wir dann auch in Kapstadt. Und die erforderlichen Einreiseformalitäten hätten auch zu einer rasend schnellen Immigration geführt, wenn nicht, ja, wenn nicht plötzlich ein beleibter Mann aufgekreuzt wäre, der glaubte, er hätte einen ausgefuchsten, nachgeradezu genialen Plan. Bis zu dessen Auftauchen bewegten sich die exakt zwei Reihen, die sich vor exakt zwei Gesundheitsinspektorinnen aufgebaut hatten, etwa alle 10 Sekunden einen Platz weiter. Dann erscholl die Stimme: „Please all people beyond sixty to this side, to optimize the process!“. Es gab Unruhe in dem bis dahin stabilen Gerüst des Immigrationsmodells, das ohne äußere Hilfestellung von den Einreisewilligen geschaffen wurde. Und plötzlich gab es vier Reihen. „Please queue up only in two rows to optimize the process!“ ertönte der sonore Bass. Jetzt gab es keine erkennbare Reihe mehr, sondern nur einen einzigen Knubbel, der nicht vorankam. Die Gesundheitsinspektorinnen bellten „Next, who’s next?“ und der Bass grollte: „Let me help you to optimize the process“. Wir schafften es irgendwie in die Reihen an der Passkontrolle. Großes Aufatmen. Gemächlich bewegte sich die Schlange in einem akzeptablen Tempo, bis… „All families with babies please pass the queue to this point, to optimize the process!“. Ich mache es kurz: Wir hatten keine Verluste, aber gerüchteweise fehlt ein halbes Dutzend der Passagiere aus München, das den optimierten Prozess nicht überstanden haben soll.
Die Mietwagenabholung war eigentlich ganz unkompliziert, außer dass von den ca. 20 Schäden am Wagen kein einziger protokolliert war. Ein Gehilfe trug das dann auf dem Parkplatz nach; zwar nur in unserer Kopie (das Original lag ja im Büro), aber da ich Vollstkasko ohne Selbstbeteiligung gebucht hatte, war mir das gelinde gesagt schnuppe. Was ich erst etwas gewöhnungsbedürftig fand: Es ist ein Automatikwagen, aber man kommt schnell rein. Problematischer mal wieder der Linksverkehr. Wie damals schon habe ich anderen Verkehrsteilnehmern mit dem Scheibenwischer signalisiert, wie ich abbiegen möchte. Diese Einfaltspinsel haben das aber nicht begriffen. So was aber auch! Da wir aber lange im Stau standen, hatte ich Gelegenheit, mich an Fiona (so heißt das Gefährt nämlich) zu gewöhnen.
Dann endlich Kapstadt: Tziona erwartete uns nach einem Anruf in Park Deck 7 des Apartmenthauses. Heißt: Immer 10 Minuten mehr einplanen, wenn man Autofahren will. Dann zeigte sie uns das Appartment, erklärte, wie, was, warum und weshalb und es sprudelte nur so aus ihr heraus. Eine sehr nette Person, sehr mitteilungsbedürftig. Wir fanden schon Milch, Kaffee, Wein und dergleichen vor, das fanden wir sehr schön. Das Gebäude beherbergt auch einen kleinen Supermarkt, den wir nach einer Runde Frischmachen zwecks Aufstockung der Grundversorgung aufsuchten, und dann machten wir uns noch mit dem Wachdienst bekannt, denn wir wohnen in einer kleinen Festung mit strengen Verhaltens- und noch strengeren Einlassregeln.
Das Appartement? Alles Designerkram, hochwertige Geräte, alles geschmackvoll. Und – tadaa! – ein genialer Ausblick über das Malayenviertel bis hin zum Tafelgebirge mit Tafelberg, Lions Head, Signal Hill. Wir sind hin und weg.
Und dann ging der Urlaub richtig los. TOP 1: Besuch der Waterfront. Der Fußweg vom Rand des Bo-Kaap-Viertels, wo wir wohnen, führt über Schnellstraßen und Menschenleben zählen nichts. Zebrastreifen sind nur Deko, Fußgängerampeln ein ignorierbares, verachtenswertes Übel. Wenn das überstanden ist: Canal District, MOCAA, Clock Tower, Wharfs… Ausblicke ganz besonderer Art. Ich liebe Kapstadt! Wir versorgten uns mit kleinen Snacks, denn das Frühstück bei Lufthansa war nicht besonders (ich konnte davon nichts essen außer einem 3-Gramm-Becher Joghurt), liefen an Seehunden vorbei, bestaunten die Änderungen, witzelten mit Verkäuferinnen und Verkäufern herum (die Menschen hier sind alle so nett!), guckten erste Souvenirs an (Spoileralarm: gibt nix, Leute!), und stoppten erst wieder am legendären Quai Four (der Möwen-Hühner-Skandal 2018) für einen weiteren Imbiss. Wir guckten uns den alten Teil der Waterkant an und liefen dann erst einmal wieder zur Wohnung zurück. Die Jungs machten sich erstmal lang, während ich in die Stadt lief, um mir eine südafrikanische SIM-Card zu besorgen. Ich muss ja doch einige Gespräche mit unseren Vermietern führen und habe auch gerne unabhängig von obskuren W-LANs Zugriff auf Inernetinformationen. Falls Ihr mich südafrikanisch anwhatsappen wollt: +27 824 275 917 🙂
Wieder zurück in der Bude hatten die beiden Jungs mehr oder weniger lange und erfolgreich ihr Nickerchen absolviert. Wir beschlossen, ob der rigiden Alkoholverkaufsregeln in Südafrika, uns einen Grundstock zuzulegen. Unser Supermarkt hatte wohl keine Lizenz, daher wollten wir in die Stadt eintauchen, um einen Liquor-Store zu finden. Keine 50 Meter nach Verlassen unseres Hauses überraschte uns Otto mit einem Fingerzeig: Guckt mal, ein Liquor-Store. Wir haben unseren Dealer gefunden! Schnell wieder in die Bude und alles lagern und dann in die Straßen rund um den Green Market. Neben den bunten Häusern in Bo-Kaap, der markanten Szenerie der Waterfront und dem Tafelberg finden sich in Hout, Long, Bree, Castle, Loop und und und-Street die berühmten Balkonhäuser und andere architektonische Perlen aus viktorianischer, georgianischer und sonst was für Zeiten. Dazwischen mal mehr oder weniger gelungene Neubaueinsprengsel. Immerhin stimmt aber das Gesamtbild.
Und dann natürlich der Green Market selbst: Nicht mehr so groß wie vor Covid, aber immer noch bunt und sehenswert. Es ist keine zusammenhängende Sehenswürdigkeit, sondern eine mit Lücken. Und man sollte genauer hinsehen. Man kann viel entdecken. Nach einem ausgiebigen Fußmarsch machten wir uns – ich traue mich fast nicht, es zu sagen… nach einem Drink auf dem Dach des Big Daddy Hotels, wo man in einem Trailer übernachten kann – im Appartement stadtfein und liefen (puh, wir sind gefühlt schon bei Kilometer 1000) wieder zur Waterfront, wo wir in sehr trubeligen Abendleben so gerade noch einen Tisch im „Den Anker“ ergatterten. Es war brechend voll, und so kam die Bedienung nicht wirklich nach, aber es war ein gelungener und leckerer erster Abend hier. Wieder 30 Minuten Wanderung zurück und dann zwei Weine probiert. Ja, wir haben es nicht nur da gut getroffen. Wir sind alle todmüde, aber – ich glaube auch für die anderen sprechen zu können – ziemlich glücklich.
Und jetzt, jetzt muss auch mal der Autor in die Heia. Ich wollte es gar nicht so lang machen, aber ich platzte gerade vor Erlebnissen. 🙂
Morgen geht es gemächlicher und strandiger zu, so jedenfalls der Plan. Seid Ihr dabei?
Liebe Grüße, Euer Gerald