Tag 4 – Havanna: Einfach mal nix machen?

Ihr Lieben,

einmal nichts tun, dachte ich mir heute morgen. Vielleicht irgendwo frühstücken, dann rumtreiben und dann Mojito trinken. Muss ja auch mal sein. Es kam dann aber doch anders und ich erlatschte einen weiteren persönlichen Weltrekord.

Nachdem ich zuhause einen Kaffee zu mir genommen hatte, lief ich die Calle Infanta bis zur Salvador Allende hoch, um dann Richtung Paseo del Prado weiterzutraben. Auf dem Weg dahin hatte ich wieder viele untouristische Einblicke. Menschen, die in den Müllbergen auf den Straßen wühlten, die mit ihren Lebensmittelmarken an den Panaderías und Bodegas anstanden, die sowieso schon aussahen wie geplündert. Viele Bettler, viele Menschen, die am Straßenrand hockten und auf einem Stück Stoff ihre wenigen Waren auslegten, in der Hoffnung, etwas zu verkaufen. Besonders begehrt ein Mann, der lose Tabletten verkaufte. Ich hoffe, er wusste, welche Pastille wogegen helfen sollte. Viele streunende Hunde und Katzen.

Auf der Salvador Allende besuchte ich dann ein durch Security und Militär (?) bewachtes Centro Commercial. Preise in Dollar oder MLC, das ist so eine Art digitale Devisenwährung für Kubaner. Die Läden auch hier nicht gerade gefüllt, dafür aber ein betuchtes Publikum. Es herrschten aber auch eher Waren des nichtalltäglichen Bedarfs vor. Allein drei Läden für Sneakers. Auf der gesamten Strecke kleine Tiendas, marode Gebäude, alles eigentlich trist, aber überall auch mitreißende Musik.

Nach einiger Zeit sah ich in einer Stichstraße eine Menschenmenge, Schirme und Verkaufsstände. Ich hatte einen Markt gefunden. Hier auch eher Tinnef, fast vergleichbar mit den Wochenmärkten in Köln, die ja inzwischen auch mehr Ramsch verticken als Lebensmittel. Und brechend voll! Wie schade, dass ich einen so empfindlichen Magen habe, denn es gab auch einiges an Streetfood. Zum Beispiel mit gerupftem Fleisch gefüllte Brötchen, „Pan con lechón“. Handgerupft. Gerne von Männern ohne Handschuhe, die dabei eine Zigarre im Mundwinkel hatten. Deren Asche aufs Tablett bröselte. Wie gut, dass ich einen so empfindlichen Magen habe.

Ich schlug mich zum „angenehmen“ Teil Havannas durch, wollte die Stufen des Capitols erklimmen, wurde zurückgepfiffen (Terroralarm: Deutscher in kurzer Hose!) und fragte im Teatro Alicia Alonso nach Karten für Aufführungen. Leider gab es keine, nur Führungen durch das Theatergebäude. Alicia Alonso war übrigens eine berühmte kubanische Ballerina und Choreografin, die mitverantwortlich für den guten Ruf des kubanischen Balletts ist.

Im Hotel Inglaterra nahm ich dann ein kleines Desayuno, ein Frühstück, ein. Bocadito con Jamón y Queso, Mangosaft und Cappuccino. Diese Schinken-Käse-Sandwichs in spanischsprachigen Ländern sind dort für mich immer ein Highlight. Wenn ich die daheim zubereite, denke ich oft, wie langweilig! Ist halt wieder so ein Urlaubsphänomen. Kretischer Honig schmeckt halt nur auf Kreta. Ich musste mich wieder in Geduld üben. Erst kam das Sandwich, dann lange nichts, dann der Saft, dann lange nichts, dann der Cappuccino.

Ich schaute mir wieder die am Paseo ausgestellten Kunstwerke an, bog in die Trocadero und stieß durch Zufall auf das Museum für die schönen Künste. Der Eintritt war mit umgerechnet 40 Cent ein Schnäppchen, dazu 20 Cent für die Garderobenfrau und ebensoviel für die Dame, die auf die WCs achtete (Toilettenpapier ist knapp und muss käuflich erworben werden). Ein Besuch lohnt sich absolut! Oft dachte ich, oh, ein Picasso, ein Legér, ein Botero, ein Gauguin. Aber alles kubanische Künstler.

Übrigens, liebe Influencer: Die genannten waren noch, wie man sieht, wirkliche Influencer! Ich fürchte, dass der kubanischen Kunst insgesamt nicht der Stellenwert eingeräumt wird, der ihr gebührt. Es sind fantastische Werke dabei, auch die, die nicht durch andere inspiriert scheinen.

Ich suchte und fand die Bodeguita del Medio, die Wiege des Mojito. Hui, da war vielleicht was los. Touristen en masse, Strassenkünstler und – verkäufer, Musikanten und … äh… Damen. Ich musste natürlich einen überteuerten, aber leckeren Mojito kaufen. Highlight hier eine Truppe von Tänzern auf Stelzen, die zu kubanischen Klängen der Begleitmusiker die Holzbeine schwangen. Gegen einen kleinen Obulus durfte man Filmen und fotografieren.

Bailando en las calles de la Habana

Und weiter, die Blasen am Fuß konnten mich nicht stoppen! Ich dachte, ich hätte die Tage längst den Platz der Kathedrale gesehen, wurde aber eines besseren belehrt. War die falsche Kirche. Wieder durch Zufall stieß ich auf den wirklich extrem schönen Platz und danach auch noch auf den „Alter Markt“ von Havanna, der Plaza Vieja. Hier ließ ich mich von einem Schlepper auf einen Balkon lotsen, wo ich überteuertes Bier, aber immerhin mit einer schönen Aussicht, trank. Plus den Hausdaiquiri, der mit stolzen 12 US$ zu Buche schlug und winzig, aber sehr lecker war.

Ich besuchte noch einen Devisensupermarkt und machte mich in einem alten, grünen Chrysler auf den Weg Richtung Wohnung,wo ich eine sehr späte Siesta einlegte.

Am Abend begab ich mich wieder zu meiner heißgeliebten Calle 21. Dort gibt es erstaunlicherweise drei türkische Restaurants quasi nebeneinander. Wobei… am Eigelstein wundert mich das ja auch nicht wirklich.

Eins hatte aber definitiv auch kubanische Gerichte auf der Karte. So ließ ich mich dort nieder. Croquetas de casa? Leider kein Frittierfett. Was ist denn als Vorspeise da? Wie es mit einem Käsetoast wäre. Ach Du jeh. Ich nahm „alte Wäsche“, ropa vieja. Das kannte ich von den Kanaren. War hier aber ganz anders. Dennoch absolut essbar.

Was ich nicht vorhersehen konnte, die Hausband hatte Ihren Platz quasi an meinem Tisch. Es ist etwas problematisch, gesittet zu essen, wenn drei Musiker einem direkt ins Gesicht glotzen. Ich habe dann versucht, im Takt mitzuschmatzen. Die Band war aber super. Kubanische Klassiker, von denen ich sogar einige kannte. Für E. habe ich mir dann „Dos gardenias para tí“ gewünscht. Ich hoffe, sie hat es gehört. So gegen 2 Uhr nachts in Deutschland.

Die Kellnerin fragte ich dann noch nach Geldwechsel, aber sie erreichte keinen ihrer entsprechenden Kontakte.

Resümee. Also, man kann natürlich allem Unangenehmen in Havanna aus dem Wege gehen. Man darf sich dann halt nur in bestimmten Grenzen innerhalb der Stadt bewegen. Aber war man dann in Havanna? Oder nur in einem Teil der Stadt, der quasi einem Themenpark für empfindsame Touristen gleicht? Jeder Tourist, auch ich, hat hier natürlich gut reden. Nur, weil ich mir das Elend auch anschaue, macht mich das ja nicht zu einem besseren Menschen. Und wenn es zu traurig wird, trinkt man einen Mojito an der Plaza Vieja. Ich habe in den letzten drei Tagen viel an meine laut jammernden Mitmenschen in Deutschland denken müssen. Weiß gar nicht, warum…

Jetzt hänge ich am Küchentresen und plane den morgigen Tag. Ich dachte an die Hemingway-Finca außerhalb Havannas. Ich erfuhr aber, dass es drei Tage vor meiner Ankunft einen schweren Hagelsturm gegeben hatte, der das Anwesen so in Mitleidenschaft gezogen hat, dass es geschlossen ist. Das Unwetter hat wohl auch im Zentrum Havannas gewütet. Also, ich überrasche mich morgen dann mal selbst, Euch vielleicht ja dann auch.

Liebe Grüße, Euer Gerry

6 Gedanken zu „Tag 4 – Havanna: Einfach mal nix machen?“

  1. Lieber Gerry, sehr eindrucksvolle Schilderungen und Fotos von deiner Abenteuerreise…

    Reise jetzt immer morgens mit zu meinem MorgenKäffchen ..

    Pauschalreisen kann ja jeder..;))..weiterhin eine spannende und gute Zeit Dir..wir werden es ja mitbekommen…

    Es grüsst Petra

    1. Liebste Öri, das war der Sinn der Sache. Euch würde es hier gefallen, überall Musiker auf den Straßen und in den Restaurants. Ich wüsste im Moment übrigens gar nicht, wie Gardenien aussehen, muss ich glatt mal googeln. Liebe Grüße aus 🇨🇺, Gerry

  2. Hallo Gerry,

    M(R), hat mich auf deinen Block gestoßen. Wir sprachen heute über Latinische Kultur. Ziemlich spannend geschrieben deine Tagesberichte. Ich halte Reisen auch fest allerdings analog. Gute Reise noch!

    LG
    Kay

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert