Reisen in autolosen Zeiten: Ahrweiler

Ihr Lieben,

ich versuche erneut, ohne Auto zurechtzukommen. Das hat vor Cora auch jahrelang funktioniert. Seit einer Woche fahre ich daher wieder ÖPNV und habe mir seitdem jeden Tag mein geliebtes Gefährt… ja, meine Gefährtin, wie Rosinante es für den Herrn aus La Mancha war, zurückgewünscht.

Sollte die Mär stimmen, dass man den Knoblauchgeruch des Gegenübers nicht wahrnimmt, wenn man selbst ausreichend von dieser tollen Knolle genossen hat, dann dürfte ich mich in Zukunft nur einmal im Jahr duschen, um die Hygieneverweigerer in Bussen und Bahnen nicht mehr zu bemerken. Und neben der körperlichen gibt es ja auch noch die psychische Hygiene. Was bringt einen Menschen dazu, sich eine überfüllte Straßenbahn als Abladeplatz seiner Weltenschwermut auszusuchen? ÖPNV ist nicht einfach, auch wenn sie mal fährt. Denn das ist ja das dritte Ärgernis: Wieso bin ich mit dem Auto doppelt so schnell in der Stadt, selbst wenn die Bahn mal pünktlich ist und warum dauert es zehnmal so lang, wenn man auch mal 45 Minuten auf eine Bahn wartet?

Heute gab es dann die Herausforderung der besonderen Art. Ohne Cora fuhr ich nach Ahrweiler, um meine liebe Freundin Ike zu besuchen. Und es hat alles geklappt! Gut, ich musste in dem nur zu 10% gefüllten Zug Richtung Remagen einmal den Platz wechseln, weil eine junge Frau glaubte, sie müsse sich direkt mir gegenüber setzen und ihre von Schuhen befreiten Käsequanten direkt auf den Sitz neben mir parkieren. Was stimmt mit diesen Personen nicht????

In Remagen musste ich etwas auf den Anschlusszug warten und erquickte meine stressgeplagte Seele mit einem Piccolöchen. Auch dieser Zug war pünktlich und ich war seit langem mal wieder zufrieden mit der deutschen Bahn. Ein kurzer Fußweg trennte mich von meiner Unterkunft und die ist klein, aber fein. Mit meiner Vermieterin, die ich bis dato nur per WhatsApp kannte, hatte ich dann noch ein kurzes Telefonat und dann war ich in meinem Zweitagespalast. Ein winzige, aber erstaunlich effektiv eingerichtete kleine Wohlfühloase mitten in Ahrweiler! Der Weg zum Bett erfordert akrobatisches Geschick, aber das habe ich ja in den Genen. Niemand stolpert schöner als ich. Im Ernst: Per WhatsApp kamen Tipps, in der Wohnung lagen Prospekte und Hinweise, was man alles unternehmen kann… Ich bin jetzt schon begeistert von der Unterkunft.

Ich musste einkaufen: Wein, Milch, Wasser, Knabberzeug. Dazu lief ich im Nieselregen zum Ahrweiler Edeka. Die haben, sehr löblich!, Weine auch gekühlt im Angebot. Ich kaufte eine eiskalte Flasche Blanc de Noir der Ahrweiler Winzergenossenschaft. Im Nieselregen zurück zum Appartment, wo mich dann Ike telefonisch erreichte. Wir gaben uns 30 Minuten Zeit zum Frischmachen und dann fuhren wir gemeinsam nach Grafschaft zu Brogsitter, wo wir schnell fündig wurden und unsere Weinkäufe erledigten. Die brachten wir dann zu Ike, wo wir auf dem Balkon einen Auxerrois schlürften, den ich beigesteuert hatte.

Die Pizzeria La Perla wartete auf uns. Ike hatte einen Tisch reserviert und wir liefen hinunter ins Dorf. Leider hat es immer noch gefisselt und wir hatten daher einen Tisch drinnen. Ike Steak und Pommes, ich Schnecken und Pizza Mafiosa. Der Laden bumsvoll! Schnecken prima, Pizza gut, Steak zäh. Und Ike hatte es bestellt, weil ihr Patenkind es so toll fand. Wir haben uns nicht beschwert, sondern nur gesagt, dass das Essen gut war, das Steak aber leider nicht so dolle. Warum ich das so episch ausbreite? Man hat sich entschuldigt und einen Rechnungsabzug vorgenommen. Hut ab! Ich mag diesen Laden!

Wir nahmen den Absacker in der Marktschenke. Absacker? Ja, daraus wurde nichts. Denn wir lernten ein paar Ahrtaler kennen, mit denen wir ins Gespräch kamen. Nicht, dass Ike nicht sowieso dauernd hier und da grüßte, aber diese Frauen kannte sie auch noch nicht. Und alle hatten einen sehr pragmatischen Blick auf die Katastrophe, ohne die Verfehlungen der Bundes- und Landesregierungen herunterzuspielen. Aber in einer Zeit der Krakeelerei und Beleidigungen habe ich mal einen vernünftigen Blick auf die Situation vor Ort erfahren dürfen, von Menschen, die hier leben. Diese Menschen könnten vielleicht mit ihrem Wunsch nach mehr Hilfe mehr erreichen, als Parolenkreischer. Es wird aber wie immer sein: Die Lauten werden von der Politik ignoriert, die Leisen nicht gehört.

Das Ahrtal braucht viel mehr Aufschwung. Jetzt sollen aber erst einmal die Straßen wieder aufgerissen werden, um die Abflüsse zu sanieren, dann erneut, um Glasfaser zu verlegen, dann noch einmal, um…. das weiß ich schon gar nicht mehr…. Sandra aus der Gruppe meinte, sie glaube, es dauere 10 Jahre, um Ahrweiler wieder auf die Beine zu bekommen.

Ist das jetzt Erholung? Nieselregen, Problemdiskussionen, Käsefußalarm? Ja, ich bin gottseidank mal wieder weg aus der Fabrik, habe meine liebe Ike getroffen, kann mich auf weitere Freundinnen und Freunde freuen und auf viel Wein und gutes Essen! Bei mir gehören die Ahrweine unter die Top3 Deutschlands!

Nach einer langen Ausschlafnacht kippte ich mir ein paar Tassen Kaffee in den Kopf und lief durch den Ort. Ike hatte mich angerufen und darum gebeten, Brot zu kaufen. Das tat ich dann und war positiv überrascht, was für nette Bäckereien es hier gibt. In einem anderen Laden erwarb ich sehr günstig Schraubverschlussflaschen für zukünftige Schnapsproduktionen. Der Rundgang durch den Ort zeigte, dass der Wiederaufbau zwar stattfindet, aber viel zu langsam. Mit viel zu viel Leerstand.

Ich entschied mich, mit der Ahrtal-Bimmelbahn zu fahren. Hej, die war so schön leer und ich bekomme jetzt die absoluten Hightlights des Ahrtals zu sehen! Yeah! … Äh … Hmpft… Die Fahrt nach Bad Neuenahr war trist und langweilig. In Bad Neuenahr mussten wir dann 20 Minuten zusehen, wie sich dort andere Touristen in den Bimmelzug quetschten und dann einzeln abkassiert wurden. Und dann fuhren wir fast die gleiche Strecke zurück. Nur, dass in Bad Neuenahr so viele Menschen zustiegen, dass wir wie gequetschte Sardinen in der Dose zusammengepfercht waren.

Ein älteres Ehepaar, das ganz vorne saß, krakeelte, dass man ja ohne Knieschaden gar nicht mehr herauskäme. Durchweg, die ganze Fahrt lang! Hinten saßen Menschen, die in einer slawischen Sprache herumlamentierten. Laut, ohne Punkt und Komma. Neben mir saß eine Mutter mit ihrem liebreizenden Kind. Sie ließ ihre Brust herausploppen und säugte ihren Benji. Das fand ich jetzt schon nicht prickelnd. Benji musste aber ab da herumrülpsen und ich dachte den Rest der Fahrt nur daran, dass ich, wenn Benji mich ankotzen würde, dann leider auch kotzen müsse. Fazit: Tut es Euch nicht an! Langweilig, gefährlich, stickig bis muffig und – erwähnte ich es schon? – langweilig!

Ich trank einen Kaffee in meiner Ferienbutze und sortierte meine Gedanken für den Nachmittag. Denn nun hieß es, noch mehr liebe Freunde zu treffen. Ich lief zu Ikes Behausung und kam nur Minuten nach Erikas und Udos Eintreffen an. Eine halbe Stunde später vervollständigten Tita und Frank die Runde. Ike hatte kleine Snacks angekündigt, es wäre allerdings genug für ein komplettes Abendbrot gewesen. Es war sehr schön, mal wieder zusammen zu sein.

Um 19 Uhr war der Tisch beim Körtgen bestellt. Ich erwähnte bereits, dass ich da schon immer hinwollte. Ich mache es kurz. Man hatte mir gesagt, dass das Essen da auch nichts mehr tauge und das Körtgen maßlos überschätzt sei. Ich weiß es jetzt besser, denn ich war ja heute da. Das Essen ist mehr als gut! Ich hatte Nudeln mit Pfifferlingen und die Dessertvariation des Hauses. Perfekt! Die Weine von Körtgen sind etwas bodenständiger als die von Brogsitter, aber ich mag beide gerne trinken. 🙂 Überraschung des Abends war aber, dass Ike die gesamte Rechnung übernahm, im Nachgang zu ihrem Geburtstag. Da hätte ich ja auch Schampus…., nee, Spaß!

Tita und Frank fuhren noch nach Hause, während Ike, Erika, Udo und ich noch einen Absacker am Markt nahmen. Wir konnten bis Mitternacht draußen sitzen, bis wir gebeten wurden, zu gehen. Die Sperrstunde war erreicht. Ehrlich? Ich habe Mitleid mit den Anwohnern! Die meisten anderen Kneipengäste hatten vergessen, dass es ein gesellschaftlich akzeptiertes Level an Lautstärke im Freien gibt.

Das war ein wunderbarer Tag und ich kletterte dankbar die mehr als tödlichen Stufen zu meinem Bett hoch.

Sonntag dann räumte ich ein bisschen in der Butze auf (Hotels haben auch Vorteile!) und begab mich samt Gepäck wieder zu Ikes Wohnung. Zu viert spazierten wir in den Weinbergen um das Calvarienkloster herum, ich zündete in der Grabkammer der seligen Blandine ein Kerzchen an, und genossen das gute Wetter, die frische Luft und die schönen Ausblicke. Nach der Wanderung fuhren wir noch in den Altenwegshof, wo es deftige Küche zu sehr fairen Preisen gibt. Das unter Lindenbäumen mit Blick auf die Ahrtal Mountains! Sehr schön da, daher auch später bumsvoll. Diesmal auf die Kappe von Erika. Danach trennten wir uns alle, die Bad-Münstereifelaner traten wieder in die Pedale (Respekt!) und Ike brachte mich zum Bahnhof Remagen. Denn hin nach Ahrweiler kann man mit dem Zug, zurück nur mit einem unzuverlässigen Schienenersatzverkehr. Ich frage mal so lose in die Runde: WIESO??? Die Züge müssen doch sowieso die Strecke zurück fahren, wieso nimmt man dann nicht Passagiere mit? Oder werden die Züge in Walporzheim alle entsorgt? Die Logik dahinter wird mir für immer verschlossen bleiben.

Auf jeden Fall war das ein wunderbares Wochenende, wir hatten uns in kompletter Formation ewig nicht gesehen. Und mit dem Wetter hatten wir ja auch Glück. Und die Rückfahrt verlief auch unproblematisch, außer das der Zug brechend voll war. Also, es geht irgendwie auch ohne Auto. Nämlich, wenn jemand anderes fährt. Hihi.

Liebe Grüße, noch einen schönen Sonntagabend, Euer

Überbrückung der Wartezeit in Remagen

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