Harz, 4, Tag: Dom, Würstchen und barocke Gärten

Ihr Lieben,

Bibi und ich lernen uns immer besser kennen. Inzwischen weiß ich, wie man den Autopiloten aktiviert und das Verdeck öffnet. Aber es gibt immer noch viele Knöpfe zu enträtseln. Beim Frühstück war ich nunmehr ganz allein, das ist natürlich ein bisschen ungemütlich. Apropos, das Wetter war dann heute früh auch ungemütlich. Daher beschloss ich, nach Halberstadt zu fahren und mir den Dom samt seines Schatzes anzusehen.

Zuerst parkte ich Bibi in den Rathauspassagen. Leute, Parkhäuser sind für mich mit SUV noch einmal eine andere Art der Herausforderung. Da ich dringend mal wohin musste, suchte ich die Toiletten in der Passage auf. 50 ct passend brauchte man für den Türöffnerautomaten. Ich hatte nicht eine einzige Münze mehr, die waren samt und sonders in irgendwelchen Parkautomaten versenkt worden. Um das WC herum gab es ganz viele Fressbuden, aber mir war um 10 Uhr früh nicht nach Scholle Finkenwerder Art (bei der „Ostsee“) oder nach gebackener Ente Kung Pao (beim Schnellimbiss „YinYang“). Daher stellte ich mich an der sehr langen Schlange in der Bäckerei an. Als ich dran war, zeigte ich auf ein Teilchen, das mir preistechnisch auf jeden Fall ein 50ct-Stück bescheren würde, und sagte „Dies da!“. „Sie meinen die Halberstädter Striezenzangenzopfbrezel mit Schokokanten?“. „Äh… ja, vermutlich.“

Die Touristeninfo ist im altneuen Rathaus untergebracht. Der Großteil des Gebäudes ist aus den 90ern, aber es wurden alte Fassadenteile verwendet, was es architektonisch ganz spannend macht. Einigermaßen gelungene Symbiose, möchte ich meinen. Davor das zweite Wahrzeichen von Halberstadt, der Roland. Die Dame am Schalter erläuterte mir alles und so zog ich mit einem Touri-Plan bewaffnet zum ersten Wahrzeichen der Stadt, das ist die Martini-Kirche mit den beiden unterschiedlichen Türmen. Ein paar Meter weiter liegt der Domplatz mit seiner gothischen Kathedrale, die nach dem Vatikan den zweitgrößten Kirchenschatz der Welt beherbergen soll. Also erstand ich zum üblichen Anderthalbdönerpreis ein Ticket.

Der Dom ist großartig! Ein toll abgegrenzter Domchorbereich, dann der Kreuzgang, die Orgel, Statuen und eben die Domschatzkammer. Ein Großteil der Ausstellung ist Textilien gewidmet. Kaseln, Gewänder, Stolen, aber auch Wandteppiche und Seidenbänder. Das finde ich jetzt nicht so spannend, daher hatte ich das schnell hinter mich gebracht. Wobei auch ein Laie erkennt, was für Werte das sind! Interessanter fand ich die Reliquiare, Möbel, Altaraufsätze und liturgischen Gefäße. Ein Einbruch würde vielleicht lohnen, aber nachher verfolgen einen die Zeigefinger von Jacobus und Nikolaus im Traum. Muss ja nicht sein.

Um den Dom herum gibt es auch einiges zu sehen, so die Liebfrauenkirche und den historischen Petershof, in dem heute die Stadtverwaltung residiert. Vom Platz aus führt die Petertreppe in das Altstadtviertel. Dort ist noch einiges an Fachwerk erhalten bzw. wiederhergestellt worden. Die für mich schönste Straße dort ist der nach der Synagoge beginnende Rosenwinkel. Aber auch die anderen Straßen und Gassen bergen schöne Häuser.

Nach Besichtigung der Altstadt zog es mich zum Buchardi-Kloster. Der amerikanische Künstler John Cage komponierte 1987 das Stück „ORGAN²/ASLSP“ für Orgel, mit der Anweisung, es so langsam wie irgend möglich zu spielen. Bei der Uraufführung dauerte dies 29 Minuten. Seit 2001 (9 Jahre nach Cages Tod) wird es in der St. Buchardi-Kirche aufgeführt und ist auf 639 Jahre ausgelegt. Das heißt, alle paar Monate ändert sich quasi ein Ton bzw. Akkord. Einen sehr interessanten Artikel dazu gibt es bei Wikipedia. Die Kirche ist in einem verfallenen Zustand, das macht die Installation der Orgelpfeifen und der Stiftungsplaketten besonders. Man kann jetzt keinen Tonwechsel mehr sponsern, alle Wechsel haben Paten gefunden. Aber man kann sich für den letzten Tonwechel im Jahr 2640 noch ein Ticket sichern. Ja, also ich wäre dabei.

Halberstadt kann sich rühmen, die weltgrößte Wurstfabrik besessen zu haben. Der Halberstädter Industrielle Friedrich Heine erfand nämlich 1896 die Dosenwurst. Tja, und er wurde seeeehr reich damit. Seine bei der immer noch existierenden Fabrik befindliche Villa ist heute ein Luxushotel, nicht weit vom Bhnhof. Ein paar Schritte weiter gibt es dann einen Fabrikverkauf. Da musste ich höchst umständlich von der Innenstadt hin mit der Straßenbahn fahren. Halberstadt kann sich nämlich NICHT rühmen eine sinnvolles Konzept zum öffentlichen Personennahverkehr zu besitzen. Leider lohnt sich der Besuch nicht wirklich. Es ist ein steriler Verkaufsraum mit Glaswürstchen und Dosenfleisch. Zurück in die Stadt lief ich dann wieder zu Fuß.

Ich finde, Halberstadt ist besser als sein Ruf, insbesondere der Innenstadtteil und dort insbesondere der Dom haben es mir seeeehr angetan. Man muss halt gut zu Fuß sein. Leider hatten hier auch viele Läden, auch gastronomische, geschlossen. Und wenn man viel Zeit hat, dann gibt es noch haufenweise Museen, die ich mir allerdings geschenkt habe. Aber interessante sind definitiv dabei. 5 Stunden bin ich in Halberstadt herumgelaufen, aber ich war noch nicht durch mit dem Tag. Denn jetzt schien auch die Sonne.

Letzter Programmpunkt heute war der Besuch von Blankenburg. Ich parkte vorm Rathaus und lief dann durch die netten barocken Gärten des kleinen Schlosses, vorbei an der oberen Mühle bis zum großen Schloss. Das war wieder ein heftiger, aber gottseidank kurzer Aufstieg. Kann mir mal jemand erklären, warum Schlösser immer auf Bergen stehen müssen? Ist doch für so einen Fürst mit Knie oder Hüfte auch nicht wirklich praktisch. Naja, oben angekommen, war das Schloss dann schon geschlossen. Seit 16 Uhr. Leute! Ich meine, ich hätte mich schon einmal im Bericht zur Lutherreise zu den nicht wirklich touristenfreundlichen Öffnungszeiten geäußert.

Abends bin ich dann in einen Edeka, um das Abendessen zu sichern. Zudem bin ich noch in eine Sparkasse, weil die Penunzen knapp wurden. Da habe ich dann gegenüber noch das schöne Rathaus von Gernrode entdeckt. Insgesamt war das ein netter Tag, wieder mit viel Sohlenabnutzung, und zwei Gläser Halberstädter Würstchen aus der Überproduktion für den spanischen Markt habe ich dann zum Sonderpreis auch erworben. Und dazu noch ein John-Cage-T-Shirt.

Morgen geht es dann ins Hotel nach Goslar, um mit anderen Pollern die Gegend unsicher zu machen. Zieht Ihr mit um? Liebe Grüße, Euer

Heute heißt das ja Rapperzirkel

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