Nil, Tag 5: Theben

Ihr Lieben,

der heutige Vormittag war Theben West gewidmet. Es gab Ausflugsoptionen ins Tal der Könige mit Hatschepsut-Tempel oder ins Tal der Arbeiter mit Tempel von Ramses III. Da ich schon – wenn auch schon vor etwa 30 Jahren – im Tal der Könige war, entschloss ich mich für das Tal der Arbeiter. Monika war so lieb, mich zu begleiten. Wir waren eine Gruppe von nur 6 Personen, fuhren mit einem Minibus und waren entsprechend schnell unterwegs.

Unser erster Halt war bei den Memnon-Kolossen. Diese gigantischen Statuen sind Überreste des Totentempels von Amenophis III. Der soll bei einem mächtigen Erdbeben zerstört worden sein, das den biblischen Plagen zugeordnet wird. Naja. Eine der Statuen muss zwischen Erdbeben kurz vor Christus und einer Restaurierung im Jahr 200 nach Christus einen Pfeifton von sich gegeben haben, der Pilger anzog, die dann dort Agamemnon huldigten.

Von da aus ging es nur eine kurze Strecke zu den Gräbern der Künstler, Arbeiter und deren Anghörigen. Die Erbauer und Ausstatter von Totentempeln und den Adelsgräbern lebten hier in einer Siedlung mit ihren Familien und arbeiteten 8 Tage auf Baustellen und hatten dann 2 Tage frei. Begraben wurden die höheren unter ihnen in Gräbern, die noch original mit Szenen ihres Lebens ausgestaltet sind. Natürlich findet man auch hier Götter aller Couleur in den Bildern wieder. In die Gräber zu kraxeln war ziemlich anstrengend, die Zugänge sind sehr klein und steil. An einer Stelle musste ich auf allen Vieren durch einen tunnelartigen Gang kriechen, um in die Grabhöhle zu gelangen. In den Kammern standen auch Ägypter bereit, die gegen ein kleines Bakschisch bei Auf- und Abstieg halfen und Erläuterungen zu den Wandmalereien abgaben. Wenn man wildes Rumfuchteln mit den Armen und unkontrolliertes Ausrufen von Namen denn als Erläuterung verstehen will. Wenn das Bakschisch zu großzügig ausfiel, hinderten sie nachfolgende Touristen daran, in die Kammer zu gelangen, bis man selbst in Ruhe alles studiert hatte.

Unser letzter Tagesordnungspunkt für diesen Ausflug war der Tempel Medinat Habu, der ursprünglich unter Ramses III erbaut, aber von Hatschepsut und Thutmosis III erweitert wurde. Hier gibt es außerordentlich viel zu sehen, aber letztlich entdeckt man zu 90 Prozent die sich wiederholenden Szenen aus den bisher besuchten Tempeln. Charakteristisch für diesen Tempel sind die seeehr tiefen Gravuren, mit denen verhindert werden sollte, dass das Leben von Ramses III hier – bei anderen, lang verschollenen Pharaonen und Königinnen – von Nachfolgern einfach „ausradiert“ wird. Und so erzählen die Wände, teilweise in Farbe, prächtige Geschichten! Noch eine Besonderheit: Wir konnten das Klo des Ramses III besichtigen. Ja, auch Menschen im Range eines Gottes blieben niedere Verrichtungen nicht erspart.

Zurück auf dem Boot stürzten die Touris sich wie Heuschrecken auf das Buffet. Der Nachmittag wurde dann auf dem Sonnendeck verbracht, ein kleines Schläfchen auf der Kabine war auch noch drin. Einige Passagiere unternahmen die Kutschfahrt durch Luxor. Nach dem Abendessen ging es dann zu einem weiteren, kostenpflichtigen Highlight: Der Sound and Light-Show im Tempel von Karnak. Zwar warnte Otto uns vor, dass schon vor 30 Jahren sein Reiseführer von einem Besuch abriet, aber wir erstanden dennoch allesamt Karten. Ja, was soll ich sagen. Ich war total ergriffen, ja, zu Tränen gerührt! Fast wahllos wurden Schalter an- und ausgeknipst, mit getragener Stimme wurden dazu verquaste Texte vorgetragen, dazwischen sprintete die Gruppe von der Umfassungsmauer in die Säulenhalle, dann in den Vorhof und anschließend im Schweinsgalopp zu einer Tribüne, wo alles nur noch viel schlimmer wurde. Wir starrten auf ein als Weihnachtsbaum verkleidetes Minarett und über einen See auf die hinteren Umfassungsmauern, wo wieder ohne Sinn und Verstand Spotlights gesetzt wurden, die in keinerlei Zusammenhang mit den schwülstig vorgetragenen Texten standen. Die Stimmen erinnerten an die Off-Erzähler aus Monumentalfilmen. Wir verbuchen das jetzt einfach mal unter einzigartiger Erfahrung.

Abends war wieder Sonnendeck angesagt. Morgen soll es schon wieder um sechs Uhr zur Tagesbesichtigung des Karnak-Tempels losgehen. Irgendwie scheint mir das hier mehr Boot-Camp als Urlaub zu sein. Aber ab Dendera, wo wir dann morgen Nachmittag mal etwas ganz Neues erleben (wir besichtigen einen Tempel!), haben wir auch sehr viel Flusszeit, auf die wir uns freuen können.

Also, wenn Ihr noch keinen Tempel-Burnout habt, würde ich mich freuen, wenn Ihr wieder mitreistet. Liebe Grüße, Euer Gerry

P.S.: Im Tempel Ramses III gibt es ein Wandbild, das einen Beamten des Hofes zeigt, der abgehackte Hände zählt. Für eine abgetrennte Hand eines Feindes erhielten Soldaten als Belohnung eine Münze. Um das Geschäft einträglicher zu gestalten, hackten sie dann auch irgendwann ihren gefallenen Kameraden die Hände ab. Der Pharao befahl daraufhin, ihm die Glieder der erlegten Widersacher zu bringen, denn diese konnte man aus religiösen Gründen unterscheiden. Diese werden auf dem gleichen Wanrelief gezeigt. Man erzählt, dass verklemmte Reiseleiter „steif und fest“ (Schenkelklopfer!) behaupten, es handele sich um Finger.

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