Liebe virtuell Mitreisenden!
Mit dem Wissen, um spätestens vier Uhr dreißig aufstehen zu müssen, habe ich auf Schlaf verzichtet, denn die Angst zu verpennen war zu groß. Aber so konnte ich in Ruhe packen, früh Kaffee trinken und ganz entspannt zum Flughafen fahren.
Der Flieger war pünktlich und nur halb voll, so dass ich mich nach der Ansage „boarding completed“ mit einem dreifachen Rittberger, kombiniert mit einer bielmannschen Pirouette zu einem der noch freien Notausgangssitze katapultierte. Ganz wunderbar viel Beinfreiheit! Denn auf den anderen Plätzen zollte man der wissenschaftlichen Erkenntnis Respekt, dass die Menschen immer kleiner werden und daher die Sitzreihen enger zusammengeschoben werden können.
In Zürich Kloten, wo sich der Flughafen befindet, ergatterte ich sofort eine Bahn nach Zürich Hauptbahnhof, wo ich mich erst einmal mit Franken versorgte und bei Burger King einen Kaffee trank, während ich auf den Basler Zug mit Matthias wartete.
Wir fanden uns einigermaßen schnell, bestiegen einen Intercity nach Sargans, um dort in den Bus nach Vaduz zu wechseln.
Vaduz ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Natürlich kenne ich die Burg von Fotos, aber der Ort drumherum ist fast gänzlich ohne Charme, maximal ein Dutzend alte Gebäude, viele extrem hässliche neue, eine kleine Kirche (die zur Kathedrale erhoben wurde, als ein unliebsamer Bischof aus Chur sie als Erzbistum angedient bekam) und massenweise Banken und Souvenirshops.
Wir liefen zur Burg hoch, was sehr anstrengend war, und die Fürstens luden uns noch nicht einmal zum Kaffee ein. Aber naja, die haben ja auch viele andere Sachen zu tun. Kaffeetrinken mit… sagen wir dem ungarischen Gesandten, dessen Wagen vor dem Schloss parkte.
Toll an Liechtenstein sind die Berge, die Vaduz umgeben, stellenweise schwer schneebedeckt und unglaublich majestätisch herumlungernd. Und die Aussicht vom Schloss aus… wunderbar!
Der Besuch des Kunstmuseums erwies sich hingegen als vertane Zeit. Die Ausstellungen waren uninteressant bis lieblos, einzig Beni Bischofs Wandkritzeleien sowie eine Handvoll Werke aus der Reihe „Conditio humana“ (Giacometti, Picasso, Klee, Beckmann usw.) fand ich interessant bzw. sehenswert.
Nach einer Stärkung in einem Café – ich hatte Wurstwegge, ein… interessantes… Gebäck – suchten wir noch die Wirkungsstätte des Skandalbischofs heim, wo ich für all die sündigen Homos, die dem Herrn ein Gräuel sind, ein Kerzchen entzündete.
Nun. Einige haben vor zu großen Erwartungen an Liechtenstein gewarnt, aber ich bin froh über diesen Besuch, denn, insbesondere nachdem die Sonne durchkam, es war ein wunderschöner Ausflug.
Von Vaduz aus fuhren wir nach Buchs, stiegen dort in die S-Bahn nach Sankt Gallen, wo wir erst einmal unser Hotel eroberten. Die Zimmer sind sehr schön, das Hotel liegt sehr gut, das war ein guter Griff. Obwohl der Buchungsprozess (wahrscheinlich wegen eines Systemfehlers bei booking.com) einige meiner Nervenstränge stilllegte. Aber das ist eine lange Geschichte, die ich auf Nachfrage gerne unter wildem Fuchteln persönlich vortrage.
Nachdem wir uns etwas frisch gemacht hatten, brachen wir zuerst zu einer kleinen Biertour auf, Matthias ist ja schließlich Biersommelier. Wir waren im Brauwerk, im Brüw und in der Birreria. Leider hatte Matthias keinen guten Lauf; ich als alter Langeweiler habe mir immer das klassische Lager bestellt, Matthias war mit seinen experimentellen Bieren leider nicht so glücklich und zufrieden. Dann erreichte ihn noch die Nachricht, dass er aus seinem für morgen gebuchten Hotel wegen Überbuchung rausgeflogen war, daher musste er eine gewisse Zeit aufwenden, um für sich und seinen Bekannten in der Nähe von Riom ein neues Zimmer zu organisieren, was definitiv nicht einfach war.
Für den Abend hatten wir in der Lokremise reserviert. Ein sehr schönes Restaurant, mit industrial chic, sehr zuvorkommender und lieber Bedienung und einem vorzüglichen Essen. Highlight des Abends war für mich ein Wein aus Lavaux, der hervorragend schmeckte. Ich hatte Mulligatawny soup (Dinner for one!) und Rindsvoressen. Letzteres hat eigentlich einen weniger despektierlicheren Namen verdient.
Auf dem Heimweg wollte ich mich noch mit meinem Tagebuchwein versorgen, aber – einige ahnen es vielleicht bereits – auch hier hat die Unsitte des abendlichen Alkoholverkaufsverbots Einzug gehalten. So schreibe ich nun bei Leitungswasser, was hoffentlich morgen durch gewissenhafte Planung vermieden werden kann. Ob das klappt? Erfahrt Ihr morgen, wenn ich live aus meinem Hotel in Chur berichte.
Alles Liebe, Euer Gerald