Ihr Lieben,
der heutige Tag stand im Zeichen der Leberertüchtigung (ich hoffe, mein Hausarzt liest nicht mit). Wie Ihr schon gestern erfahren konntet, haben wir unseren DOKO-Ausflug ja um den Besuch eines Weingutes herumgestrickt. Morgens kam die erste gute Nachricht. Monika war wieder so fit, dass sie und Jasmina kommen konnten. Sie fuhren entsprechend früh von zuhause los.
Versehen mit dieser guten Botschaft fand sich der Rest der Truppe morgens im Frühstücksraum ein. Das war dann ganz ordentlich. Wer meine Reistagebücher verfolgt, weiß ja, dass für mich alles gut ist, wenn Rührei und Obst auf dem Buffet zu finden sind. Da wir nun nicht wussten, wie lange die Nachzügler brauchen, einigten wir uns darauf, mit dem Bus nach Bechtolsheim zu fahren. Just in dem Moment, als wir aufbrachen, kamen Monika und Jasmina an. Sie wollten aber noch einchecken und dann mit dem Auto zum Weingut fahren. Denn irgendwo musste ja auch unsere eventuelle Bestellung zwischengelagert werden.
Wir anderen sechs kletterten den Achttausender zum Bahnhof hoch, und ich erspare Euch die Schilderung des Vorabends, wie die Busfahrpläne und -haltestellen ausdiskutiert wurden. Nur eines: Wir haben alle die Befähigung zum Speaker des Debattierklubs einer britischen Elitehochschule.
Während wir auf den Bus warteten, kramten wir alle unsere rudimentären Kenntnisse der Betriebswissenschaft und Mathematik hervor, um auszubaldowern, welche Ticketkombination für eine Gruppe von 6 Personen am preiswertesten sein könnte. Es gab verwirrend mannigfaltige Optionen. Die etwa halbstündige Debatte wurde erschwert, da der Verkehrsverbund hier eine Gruppe über 5 Personen nicht handeln (bitte englisch aussprechen: händeln) kann. Dann hielt der Bus und wir erläuterten dem Busfahrer unsere ausgeklügelte, nobelpreiswürdige Ticketstrategie… Die Replik: „Der Ticketdrucker ist kaputt, setzt Euch einfach hin.“
Die etwa 20-minütige Fahrt hatte etwas mystisches, denn das Alzeyer Land war in dichten Nebel gepackt. Das macht sich in einer hügeligen Landschaft mit Weinstöcken außerordentlich gut. Wir fuhren durch einige kleine Orte, die alle einen gewissen Charme durchblicken ließen. In einer der winzigen Ortschaften kamen wir z.B. an einer imposanten Kirche vorbei, die ich hier so nicht vermutet hätte.
In Bechtolsheim angekommen, warteten schon Monika, Jasmina und Nordmann auf uns. Nordmann? Nordmann möchte eigentlich auch gerne Doppelkopf mit uns spielen, versteht aber die Regeln nicht. Außerdem kann er mit seinen Hundepfoten die Karten nicht halten.
So, und jetzt wird es fast brutal: Es ist 11 Uhr früh. Und wir sind bei einer Weinprobe! „Sektchen?“ zwitscherte es uns als erstes entgegen. „Och jo“ zwitscherten wir zurück. Ich mache es fast kurz: Wir probierten uns durch mehrere Sekte, Schaumweine, Weißweine, Roséweine, Rotweine und Spirituosen und das jeweils in den Ausprägungen trocken, halbtrocken, fassausgebaut, neue und alte Rebe, öko und nachhaltig und und und. Man höre und staune: Die Weinprobe war „umme“. Sparfüchse kennen diesen Ausdruck. Und wir wurden mit literweise Wasser und tonnenweise Cräcker und Käsewürfeln versorgt. Aber unsere Bestellzettel wurden dann auch länger und länger. Vor Ort wurde dann alles in das Auto verladen. Wir hoffen, dass das morgen früh noch da steht 🙂 Denn wir sind natürlich alle mit dem Bus zurückgefahren. Diesmal leider nicht mit defektem Kartendrucker.
Nach der ganzen Sauferei hatten wir dann auch eine sprichwörtliche Schnapsleiche zu beklagen, der Rest hat sich tapfer durchgetrunken. Ich verrate jetzt aber nicht, wen es traf, möchte aber anmerken, dass ich dies gerade noch schreibe. Aber wer weiß, vielleicht habe ich mich auch nur schnell wieder erholt. All unsere Lippen sind ab jetzt auf ewig verschlossen!
Morgens hatten wir versucht, in der dem Hotel angeschlossenen Gastronomie einen Tisch zu ordern. Ach jeh. Für 8 Personen im fast besten Haus am Platze? Das war nix. Aber Markus rief mittags im gestrigen Restaurant an, und da wir uns offensichtlich nicht völlig danebenbenommen hatten, wollte man uns gerne (!) wieder empfangen. Da sind wir dann nach der Weinprobe hingegangen. Übrigens hier ein Tipp am Rande, ich weiß gar nicht, wie ich jetzt darauf komme: Keine neuen Schuhe, wenn man laufen muss!!!
Es war wieder sehr schön da, wir wurden gut umsorgt und ich hatte wieder eine Spezialität. Ochsenbäckchen in Dornfeldersauce. Ehrlich? Das war ein Gedicht. Sooo zart und die Sauce ein Traum! Mit der „Chefin“ sind wir jetzt per Du und wir werden uns gegenseitig mehrmals im Jahr besuchen. Nee, das war jetzt quatsch. Aber definitiv ein guter Ort, um zu essen.
Wenn man jetzt eine Zusammenfassung des Tages schreiben müsste: Frühstück, Saufen, Abendessen mit Saufen. Und Busfahrt. Aber es ist natürlich so viel mehr. Wir hatten tiefgehende philosophische Diskurse über Tag-, Party-, Nacht und Erlebnisweine, Ihr hättet Tränen in den Augen! Wir haben Trauben kennengelernt oder wiederentdeckt, die zumindest ich nicht kannte oder nicht mehr auf dem Schirm hatte. Siehe Überschrift. Bei mir könnt Ihr tatsächlich demnächst einen St. Laurent bekommen oder eine Scheurebe. Letztere übrigens benannt nach Georg Scheu aus Krefeld, der als Züchter in Alzey wirkte. Auch die Huxelrebe und der Regner gehen auf sein Konto.
Ein Teil der Gruppe saß dann noch ein bisschen auf der Hotelterrasse und ließ den Tag Revue passieren. Es war für mich ein wenig merkwürdig, dass es noch so früh war, als wir uns um 22 Uhr trennten. Aber immerhin haben wir 7 Stunden weingeprobt.
Es war ein toller Tag mit einer tollen Gruppe mit tollen Weinen, die von tollen Mitarbeiterinnen des Weinguts präsentiert wurden. Morgen setzt sich nach dem gemeinsamen Frühstück eine Fahrzeugkolonne in Gang, um die Weinkisten aus dem stehengelassenen Wagen umzuverteilen, ich werde zum Bahnhof dackeln und abends meinen Wein bei Rolf abholen. Wir lesen uns vielleicht morgen noch einmal hier, wenn ich abends bei einem Laurent oder Blanc de noir noch ein paar Zeilen verfasse.
Bis denne, Euer Gerry