Tag 16: Von Holguín nach Santiago de Cuba

Ihr Lieben,

all das Positive, was ich über die Viazules bisher gesagt habe, nehme ich zurück. Bei 36°C ohne Strom und ohne Internetverbindung wartete ich in einer stickigen Wartehalle ewig auf den Bus. Weiß Gott, von woher der kam. Bahamas? Doch von vorne: Am Morgen packte ich mal wieder meine Siebensachen, frühstückte in der Casona, bezahlte meine Schulden und machte einen letzten Spaziergang durch die Innenstadt von Holguín. Ich kaufte Trockenkekse und Dosensäfte für die Busfahrt und besorgte mir noch ein paar Stunden Etecsa-WiFi-Guthaben. Zum Busbahnhof kam ich wieder mit einem Bicitaxi, das ich von meinem Spaziergang direkt „mitnahm“ zur Casona.

Als ich mal schrieb, dass man mit den Stromausfällen durchaus leben könne… Naja, in Holguín wird das blöderweise massiv übertrieben. Mal zwei Stunden nachmittags oder nachts, wie in Trinidad, das übersteht man ja auch. Aber die letzten beiden Tage in Holguín war es definitiv too much! Die Bleibe heizt sich dermaßen auf, dass man versucht ist, vor dem Haus zu schlafen. Da kommt alle halbe Stunde wenigstens mal ein Windstößchen. Die Getränke in den Bars und im Kühlschrank meines Zimmer sind dann auch alle nur lauwarm. Gerade bei Fantaersatzprodukten mega. Dazu kommt, dass viele Häuser als einzigen natürlichen Lichteinfall die Vordertüre haben. Zähneputzen im Finstern ist das kleinste Problem. Internet ging teilweise gar nicht mehr, selbst beim Sendeturm nicht. Das ist doch sehr nervstrapazierend. Mich erstaunt die Gelassenheit der Bevölkerung. Liebe Regierung, das ist auch sehr begrüßenswert, diese Ruhe und Gelassenheit, ich wollte da keinen falschen Eindruck erwecken! Darf ich bitte komplikationslos ausreisen? Herrjeh, jetzt werde ich hier auch noch zum Verschwörungstheoretiker!

Zurück zum stromlosen Busbahnhof. Ich schien auch lange Zeit der Einzige zu sein, der den Bus nach Santiago nehmen wollte. Das stresst, wie schon beschrieben, zusätzlich, da man alle naslang rausrennt, um zu gucken, was denn da für ein Bus jetzt gerade wieder angedockt hatte. Das Viazul-Personal verschwand dann auch gerne mal für eine halbe Stunde und ich war alleine mit der Señora, die schon seit Ewigkeiten den Boden wischte. Anzeigetafeln oder Durchsagen hier natürlich auch Fehlanzeige. Irgendwann kam, eigentlich viel zu spät, völlig aufgelöst ein anderer Fahrgast. Mit dem wartete ich dann den Rest der Zeit zusammen. Leider ohne Unterhaltung, denn sein Spanisch verstand ich überhaupt nicht, hätte auch balinesisch sein können.

Nach zwei Stunden tat sich etwas. Ja, da am Horizont… Ist das etwa…? Ja, er ist’s, der Zoch kütt! Äh, der Bus. Irgendeine Familie hatte aber beschlossen, dass der Umzug des Haushalts mit einem Viazul wohl preiswerter wäre, als mit einem Transportunternehmen. Das Ausladen der an die 50 Gepäckstücke dauerte daher mindestens eine halbe Stunde. Meine Laune sank weiter. Dann die Busfahrt. Man fühlte sich bei Minus 3°C offensichtlich pudelwohl. Meiner Bitte, aus der Tiefkühltruhe wieder einen Bus zu machen, wurde nicht entsprochen. So kleidete ich mich in mein Indira-Ghandi-Gedächtnis-Kostüm, d.h. mit vielen Schals und Decken und versuchte, nicht zu erfrieren.

Die weitere Reise verschlechterte meine Laune zusehends, hielt doch der Bus an jeder Ecke, damit Fahrer und Kontrolleur Umschläge gegen Waren tauschen, Kisten abgeben oder Personen zusätzlich aufnehmen, um sie irgendwo wieder rauslassen zu können. Das kam mehr als zwanzigmal vor. Unsere Verspätung wurde dadurch erstaunlicherweise nicht geringer. Naja, kubanische Nebenverdienste halt. Hoffentlich nichts illegales.

Am späten Abend kamen wir dann in Santiago de Kuba an. Ich stieg völlig verfroren aus dem Bus, um in eine aufgeheizt Waschküche zu treten. Herrjeh. Ich werde morgen ins Leichenschauhaus gebracht werden. Todesursache: Temperaturschocks unmenschlichen Ausmaßes.

Am Ausgang dann die Zunft der mehr oder weniger akkreditierten Taxistas. Immerhin gab es welche. Wieviel zur Casa Granda (sic!)? 20 Dollar. Hihihi. 15? Lachschlapp! 10? Komm mach hinne. Und dann das:

Die wohl größte Rostlaube auf Gottes weitem Autofriedhof. Vorne auf dem Beifahrersitz ein halbnackter Greis, der vertrieben wurde, hinten räkelte sich eine aufgedonnerte Chica. Die durfte bleiben. Hm. Sollte die Todesursache dann doch anders lauten? Naja, wir unterhielten uns nett (Thema: Was er alles organisieren könne, wenn ich wolle) und kamen auch bald am Hotel an.

Würde es noch schlimmer kommen? Würde das Hotel keine Reservierung vorliegen haben? Ich sach nur Albanien! Ich war völlig genervt und fertig, schleppte mich die erste Stufe hoch… Portier: Moment, ich nehme Ihren Koffer. Hier entlang. Rezeption: Hallo, Sie müssen Gerald sein, wir haben Sie erwartet, ich mache mal alles fertig. Stimme von hinten: Willkommen, bitte nehmen Sie einen Drink.

Ich habe ein supertolles Zimmer (der Safe funktionierte zuerst nicht, das wurde umgehend behoben!) mit sagenhaftem Blick auf die Kathedrale und über den Platz bis zum Hafen. Das Bad totalsaniert, die Betten ein Traum. Ich hatte fast Pipi in den Augen.

Es war schon sehr spät, aber ich wollte zumindest einen ersten Eindruck erhaschen, daher lief ich derangiert durch die Nachbarschaft. Leute, ich kenne ja jetzt nur den Kathedralplatz und die nähere Umgebung, aber Santiago de Cuba setzt noch einmal einen drauf! So schöne Häuser! Eine bemerkenswerte Kathedrale! Viele Restaurants.

Auch viele Mücken, viele leichte Mädchen und viele Nepper, Schlepper, Bauernfänger. Inzwischen bin ich aber geübt darin, zwei Drittel davon loszuwerden. Nur die Mücken lassen sich nicht durch meine sarkastischen Bemerkungen beeindrucken. Da muss dann wieder mein Tropenspray ran!

Einige virtuell Mitreisende kennen mich ja persönlich und wissen, dass ich keineswegs ein toller Zeitgenosse bin, wenn ich niggelig werde. Aber erstaunlicherweise lasse ich mich auch gerne superschnell wieder hochziehen. Seit meiner Begrüßung im Hotel laufe ich mit breitem Grinsen durch die Gegend und freue mich total, dass ich in Santiago bin. Nach meinem Spaziergang machte ich mich tischfein und speiste auf der Dachterrasse des Hotels. Kann ich bitte die Speisekarte sehen? Nö, es gäbe nur Fisch oder Huhn. Aber vom Grill. Und man könne einen Salat hinbekommen. Das Bier sei aus Kanada, Cocktails gäbe es zur Zeit mangels Barkeeper nicht. Und das am besten Platz der Stadt, wie der „Taxifahrer“ sagte. Aber das hätte er bestimmt auch gesagt, wenn er mich ins Hafenbecken gefahren hätte. Es tat meiner Freude keinen Abbruch, der Fisch war super, der Salat megasuper! Das Bier, Moosehead, war merkwürdig. Ob so Elchschweiß schmeckt?

Jetzt bin ich auf meinem Zimmer, mit Strom, mit Internet, mit kanadischem Brauereierzeugnis, und frage mich, wie sehr ich mich mit einem solchen Hotel von meinem Ziel entferne, das richtige Kuba kennenzulernen. Ihr Lieben, ich bin da ehrlich. Das richtige Kuba ist anstrengend und ich nehme jetzt dankbar mal diese andere Erfahrung mit. Letztendlich bin ich doch ein verwöhnter, alter Knacker.

Morgen erkunde ich dann mal die zweitgrößte Stadt Kubas, die auch Stadt der Musik genannt wird. Ich freute mich, wenn Ihr mitlauftet.

Liebe Grüße, Euer wankelmütiger Gerry

Wieso Sex? Und warum zu einer so merkwürdigen Uhrzeit?

4 Gedanken zu „Tag 16: Von Holguín nach Santiago de Cuba“

  1. Moinmoin Gerry, amüsieren mich schon wieder morgens um 7 über deine Berichte mit wirklich feinen Fotos ..also: Dachterrasse und Badvergnügen in bestem Hotel ..haste Dir aber auch mal verdient zwischendurch nach der Schockfrosterei ( Selfie sei dank, im wahrsten Sinne cooles…Foto)zwischendurch ..relääääx!

    make it weiterhin good..ich lesereise gespannt mit.;)

  2. Ich kann Freude über einen Hotelszandard sehr gut nachvollziehen. Als ich am Ende eines Wanderurlaubs in England, weitgehend zu Fuß und in Mehrbettzimmern schlafend am Vortag meines Rückflugs in ein Hotel einkehrte erfüllte mich eine ähnliche Dankbarkeit. Ich finde du hast schon viel echtes Kuba vermitteln können :-). Gute Reise noch!

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