Ihr Lieben,
so eine Pension mitten in der Altstadt hat schon etwas besonderes. Etwas besonders lautes. Sowohl von der Straße als auch aus dem innersten, quasi dem Gedärm des Hauses heraus, so hellhörig ist das hier. Aber das hatte ich geahnt und meine Ohrwunderstöpsel eingepackt. Frühstück gibt es hier ja keins, ich hätte Gutscheine für ein Café in der Nähe ordern können, das hatte ich im Eifer des Gefechts beim Check-in leider vergessen.
Ich suchte mir ein Café drei Häuser weiter, nahm einen halben Liter des gleichlautenden Getränks zu mir, zusammen mit einem Rührei auf Brot, beides leider nur lauwarm, das ist hier so üblich, kehrte zurück zu Pension, machte mich stadtfein… Oh, eine Zwischenfrage aus dem Parkett!? Ungeduscht ins Café? Yep! Erst Kaffee, dann stadtfein! Wie denn sonst? So ging ich auch der Bad-Prügelei aus dem Weg. Wo war ich?… also, machte mich stadtfein und lief zum Zentralmarkt.

Ich liebe Märkte. Aber das ist ja inzwischen hinreichend bekannt. Der Mercado Central in Alicante ist in einer Halle Baujahr 1921 untergebracht, aber er ist bis weit unter die Plaza 25 de Mayo unterkellert. Oben gibt es hauptsächlich Fleisch und Wurst, unten Fisch und Gemüse. Was diese Markthalle von vielen unterscheidet ist, dass es viel weniger Verzehrstände gibt, wo man Austern schlürfen oder Cava trinken kann. Sie ist eben deutlich untouristischer als z.B. der Mercado de San Miguel in Madrid. Allerdings auch nicht so charmant. Aber wenn ich hier lebte, ich wäre jeden Tag im Mercado Central!








Auf der Plaza, deren Name an die über 300 Opfer eines 1938 erfolgten Bombenangriffs während des Spanischen Bürgerkriegs erinnert, die aber auch Plaza de Flores, Platz der Blumen, genannt wird, trank ich dann zwischen lauter Einheimischen einen Cafetito. Zwei Tische weiter saß eine Gruppe, die unter Gitarrenbegleitung lauthals sang und die der Padron verscheuchen wollte, was ihm aber nicht recht gelang, denn irgendwer aus der Runde bestellte dann doch noch irgendeine Kleinigkeit. Für die restlichen Besucher war das ein schönes Spektakel, zumal die kleine Gruppe musikalisch richtig was drauf hatte!

Es war schon um 11 Uhr brütend heiß und schwül, so lief ich in der Hoffnung auf eine leichte Brise zum Meer hinunter. Ich hoffte zwar umsonst, konnte aber eine Menge schöner, neuer Eindrücke gewinnen. Es gibt über die ganze Innenstadt verstreut Kunstwerke, zauberhafte kleine Parks, funktionierende Springbrunnen (Hallo Köln! ) und eine Menge großartiger Häuser zu bestaunen. Allerdings auch mit einigen Bausünden dazwischen. Dazu das Meer, der Yachthafen, Palmen und Pflanzen und blühende Büsche, sowie die mediterrane Lebensart. Alicante scheint auch ein Magnet für Junggesell:innenabschiede zu sein, man kann keine 100 Meter gehen, ohne auf eine ausgelassene Truppe Jungs oder Mädels zu treffen, die lautstark die angehende Braut, den angehenden Bräutigam feiern.









Die Pension verfügt über eine ausgezeichnete Klimaanlage, und so zog ich mich für eine kleine Siesta dorthin zurück, bevor ich mich zum Museum für zeitgenössische Kunst begab. Wie auch das Museum der schönen Künste liegt das MACA (Museo de Arte Contemporáneo de Alicante) nur einen Steinwurf entfernt von der Pension, deren Lage wirklich einzigartig ist. Auch hier ist der Eintritt frei! Also im Museum, nicht in der Pension. Die Zahl der Ausstellungsstücke über vier Etagen ist einigermaßen überschaubar, aber durchaus sehenswert. Wie auch das MUBAG verfügt das MACA über sehr großzügige Räume.










Zwei Kunstwerke haben es mir heute besonders angetan, denn sie befinden sich direkt nebeneinander und sind gerade unglaublich aktuell, obwohl sie aus den 60er und 70er Jahren stammen. Absicht der Kuratoren?


Auf meiner Straßenkarte aus der Pension hatte die Rezeptionistin auch die nicht historische Innenstadt eingekreist, die ich im Anschluss an das Museum besuchte. Ich fände dort auch noch preiswerte, ursprüngliche Restaurants. Es war leider nicht viel los dort, und auch viele der Restaurants hatten geschlossen. Auf dem Weg dorthin kreuzte ich die Rambla, auf der man fleißig dabei war, Tausende von Plastikstühlen aufzustellen. Ich fragte nach dem Grund und erhielt die Auskunft, man starte in die zweiwöchigen Fiestas der „Hogueras de Alicante“, die am 24. Juni ihren Höhepunkt in den Johannisfeuern fänden, bei denen kunstvolle Pappmache-Figuren verbrannt werden. Es beginnt mit der sogenannten Entrada de las Bandas, bei denen sich die traditionell gewandeten, mehr als 170 Gruppen vorstellen, die bei den Umzügen während der Festwoche mitmachen. Gut, so hatte ich schon eine Abendaktivität für heute.
Vorher lief ich – wie gesagt – noch ein bisschen durch die Neustadt, die allerdings sehr unspektakulär ist, und setzte mich anschließend auf ein Bier in einen kleinen Park, wo sich, da alle Tische besetzt waren, zwei Bosnier zu mir gesellten, die natürlich völlig begeistert waren, dass ich kürzlich in Sarajewo und Mostar war; was sie nicht verstanden, dass ich Banja Luka nicht besucht hatte, wo die beiden herkamen. Da müsse ich ja wohl mal hin. Die beiden waren Teil einer 18-köpfigen Junggesellenabschiedstruppe und einer von beiden wirkte auch sichtlich angeschlagen. Sie orderten erst mal Bier für sich und mich und bezahlten auch sofort mein vorheriges. Da musste ich mich natürlich revanchieren. So wankte ich dann schon leicht angezwitschert zum Festival. Politik mussten wir übrigens frühzeitig aus dem Gespräch ausklammern. Beide sehr jung, beide absolute Putin- und Vučić-Versteher und beide resistent gegen meine Argumente. Ist die Jugend von heute irgendwie verloren? Der Krieg auf dem Balkan sei vorbei, sie mögen nicht darüber sprechen. Es sei Geschichte. Immerhin schätzten sie mich auf nur 50 Jahre.







Vor der Parade eilte ich noch schnell in die Pension, um mich frisch zu machen und entdeckte auf dem Weg einen Laden, der sich der mexikanischen Kultur verschrieben hatte. Frida Kahlo war sehr präsent, aber auch kleine Kunstwerke, die an den Día de los Muertes erinnern sollten. Ich war ganz hingerissen! Und kaufte mal wieder eine Skulptur. Ich muss vor meinem Tod noch dafür sorgen, dass all der schöne Kitsch an Liebhaber kommt und nicht durch den Nachwuchs in die Tonne gekloppt wird. Wäre doch zu schade. Das Bild mit Frida Kahlo als Engel hätte ich auch gerne gekauft. Aber wie transportieren? Und wo hinhängen? Möchte jemand vielleicht eine „Sammlung Gerry“ fördern und ein Gebäude bereitstellen?



Die Parade war dann sehr, sehr nett. Schöne Trachten, alle Beteiligten waren mit Begeisterung und Stolz dabei. Die Entrada scheint eine sehr große Sache zu sein, jede Gruppe hatte ihre Schönheitsköniginnen und – prinzessinnen, die alle namentlich vorgestellt wurden. Fast wie Opernball hier. Die Musikgruppen spielten auf unglaublich hohem Niveau, das scheint eine Frage der Ehre zu sein. Denn sorry, die Karnevalsschrammler bei unseren Umzügen vergreifen sich ja auch mal mächtig im Ton, sozusagen.








Irgendwann, so etwa nach der 30. Gruppe, hatte ich dann aber eine Trachtenüberdosis. Da rettete auch die Mucke nichts mehr. Ich begab mich zu Tisch in der Touristenmeile. Ich fragte in einem Restaurant an, ob ich nicht auch Paella für eine Person bekommen könne. Nee, das ginge ja mal gar nicht. Der Einheizer ein Restaurant weiter hörte das und erwies sich als deutlich geschäftstüchtiger. Siéntate aquí, klar geht das hier. Mayor 20 hieß der Schuppen und war deutlich schlechter besucht als die umliegenden Futtertröge. Hm. Die Sorge war unberechtigt.
Ich hatte Zamburiñas, eine Unterart der Kammmuscheln, als Vorspeise, die waren schon mal perfekt! Die Paella de Mariscos war okay, ich glaube aber, ich bekomme sie fast besser hin. Wenn auch nur ein kleines bisschen. Zum Abschluss wählte ich Flan casera, die war der Hammer! Sooo lecker!




Ich saß ziemlich gut, denn durch eine Seitenstraße hatte ich immer noch Blick auf den Umzug und die volle Dröhnung flotter Marschmusik. Die Trachtler, die schon durch waren, liefen dann die Calle Mayor entlang an meinem Tisch vorbei, so hatte ich Gelegenheit, mir die wirklich aufwendigen Kleidungsstücke aus der Nähe anzusehen.
Ihr konntet ja schon auf Fotos sehen, wie beengt die Gassen durch die Restauranttische sind. Plötzlich rannten Rettungssanitäter, laut rufend, an uns vorbei, Passanten zur Seite schubsend. Da muss man erst einmal drüber nachdenken, da kommt ja keine Ambulanz mehr durch. Hier möchte ich dann doch bitte keinen Notfall erleiden.
Zwei Blumenverkäufer trafen sich dann auf Höhe meines Tisches und ich musste bei der Vorstellung kichern, dass sie versuchten, sich gegenseitig zu einer Rose zu überreden. Aber man kannte sich wohl einfach nur.
Also, das war wieder ein proppevoller Tag, aber auch extrem schön! Fast bin ich versucht, in 14 Tagen zum Johannisfeuer wieder herzukommen, aber da bin ich schon in Berlin (da freue ich mich auch schon drauf!). Was schrieb ich vorgestern? Mal den zweiten Blick abwarten. Alicante ist immer noch sehr anders als die anderen mir bekannten spanischen Städte, aber es hat dann doch seine eigene, gewinnende Art. Vor allem Foodies und Party-People kommen hier voll auf ihre Kosten!
Morgen habe ich noch fast einen ganzen Tag. Den werde ich auch voll auskosten. Ich hoffe, Ihr kostet mit.
Liebe Grüße, Euer


