Ihr Lieben,
zu Beginn eine Korrektur. Viele (danke dafür) wiesen mich darauf hin, dass das mit dem Bollerwagen und den Vätern ja schon vor ein paar Wochen war. Sie haben natürlich recht, ich blicke bei den vielen Feiertagen nicht mehr durch… 🤣
Und es geht vorerst mit gestern weiter: Die Metro fährt leider nachts nicht so lange, daher musste ich spätabends noch ein wenig durch die Stadt irren, um den Nachtbus zu finden. Dabei lief ich an der Universität vorbei (sehr schön beleuchtet) und hatte ein bisschen Bukarest-bei-Nacht-Feeling. Leider stieg ich dann zu früh aus und musste noch einen dreiviertel Kilometer durch dunkle Gassen irren. Aber die Anzeige im Bus war ausgefallen und ich hatte mich wohl mit den Haltestellen verzählt.



Gestern Abend traf ich übrigens noch zwei Bamberger, die saßen, während ich am Nachbartisch das Tagebuch schrieb, auch im Grill. Als ich ging, konnte ich es mir nicht verkneifen, sie anzusprechen. „Immer diese Deutschen, man kann ihnen nicht entkommen!“. Wir haben dann noch kurz geplaudert, einer von beiden hat sogar in Köln studiert. Die Welt ist klein.
Nun aber das fast wichtigste an jedem Urlaub: Wie war das Frühstück? Ich sachma so… äh… nun ja. Nehmt die rechte der beiden Kaffeemaschinen, der Kaffee ist deutlich wärmer. Und die Tomaten waren gar nicht schlecht.
Um viertel vor 10 musste ich mich am Treffpunkt für den Stadtrundgang einfinden. Den hatte ich schon von zuhause aus gebucht. Aus den vorgesehenen zweieinhalb Stunden wurden mehr als drei, weil wir ein gebrechliches Pärchen dabei hatten, die aber ganz tapfer die ganze Tour bis zum Ende mitliefen. Mir tat nur der Guide leid, der natürlich die Wartepausen irgendwie füllen musste. Aber umso mehr Informationen bekamen wir natürlich; über das Ceaușescu-Regime und die Revolution von 1989, über die Monarchie, überhaupt die Geschichte des Landes. Leider wurde mein ganzes Weltbild über Dracula zunichte gemacht. Vlad, der Pfähler, lebte gar nicht in Transsilvanien, er war aus Süd- Rumänien und an der Stadtgründung von Bukarest nicht ganz unbeteiligt. Insgesamt kann man sagen, dass die Geschichte Rumäniens sehr wechselhaft und interessant ist, es lohnt sich, mehr darüber zu lesen und sich zu informieren.
Der Rundgang selbst startete an der St. Anton-Kirche, der Krönungskirche der Rumänen, obwohl relativ klein, und setzte sich über die Karawanserei Hanul lui Manuc, wo 1812 der Friede von Bukarest geschlossen wurde, fort. Wir sahen Reste der alten Festung, das Kloster Stavropoleos, den architektonischen Stilmix aus Österreich-Ungarn, Paris, sozialistische Brutalismus, postrevolutionärem Wildwuchs in der Altstadt. Es gibt einen Sanierungs- und Renovierungsstau, nicht nur aus Geldmangel heraus, sondern, weil Arbeitskräfte fehlen. Die haben sich quasi alle in den glitzernden Westen verpieselt.























Wir liefen durch schöne Passagen bzw. an solchen vorbei bis zum Platz der Revolution. Hier begann auf dem Balkon der kommunistischen Parteizentrale der Anfang vom Ende von Ceaușescu. Ich war damals 23 Jahre alt und habe die Bilder noch vor Augen. Es wurde ja alles im rumänischen Staatsfernsehen live übertragen, die Ansprache Ceaușescus sollte die Massen eigentlich beruhigen. Wie wir wissen, trat das Gegenteil ein. Das waren wüste Tage! Eine pfeilförmige Stele erinnert an die vielen Opfer der Revolution. Am Platz befinden sich außerdem der ehemalige königliche Palast, der heute diverse Museen beherbergt, das Athenäum, der berühmte Konzertsaal von Bukarest, die Universitätsbibliothek mit der imposanten Reiterstatue von Karol I von Rumänien, sowie diverse andere Statuen und Gebäude von geschichtlicher Bedeutung. Das Revolutionsmonument steht auf einem aus Holzstämmen gebildeten Kreuz und wird von zwei Wänden flankiert, auf denen die Namen der Toten vom Dezember 1989 eingraviert sind.
Wir liefen dann durch zwei schöne Parks, um am Palast des Volkes unsere Tour zu beenden. Hier wurde 1984 in Windeseile ohne Vorankündigung (zur Vermeidung von Protesten) ein gesamtes Stadtviertel platt gemacht, um Ceaușescus Megalomanieträume zu verwirklichen. Außer dem Palast gehörten dazu die umliegenden Gebäude, der Prachtboulevard, die Springbrunnen. Man schätzt, dass 20.000 Menschen von jetzt auf gleich ihr Heim verloren. Der Palast ist nach dem Pentagon das zweitgrößte und es ist zudem auch das schwerste Gebäude der Welt. Donald Trump wollte es nach der Revolution kaufen, Rupert Murdoch war auch interessiert. Michael Jackson wurde auf den Balkon geladen und rief hinaus in die Welt, wie sehr er sich freue in Budapest zu sein. Der Tourguide: „Das war den Menschen egal, sie wollten ihn singen hören und nicht seine Geographiekenntnisse testen.“ Es war wirklich eine sehr informative und sehr kurzweilige Tour. Kann ich jedem nur empfehlen.






Während unseres Spaziergangs empfahl Alex, der Guide, uns ein bestimmtes Restaurant. Es gehört zu den ältesten und angesehensten in Bukarest. Man könne dort sehr preiswert zu Mittag essen. Ich kehrte dort ein, ein preiswertes Mittagsmenü gab es allerdings nicht, dafür habe ich aber ein hervorragendes Steak mit Crevetten auf Spargel mit Kartoffelpüree gegessen. Zu einem alten und angesehenen Preis, wie ich formulieren möchte. Aber für deutsche Verhältnisse fast ein Schnapper!



Ich besorgte noch Knabberkram und Wein fürs Hotelzimmer, das erwies sich als ein wenig aufwändiger als gedacht. In einem Laden wollte man meine Kreditkarte nicht akzeptieren (also das Gerät wollte das nicht), Bargeld hatte ich nicht in ausreichender Menge, in einem zweiten Laden verdoppelte sich auf einmal der Weinpreis, man verstand aber meinen Protest nicht, und erst im dritten Geschäft konnte ich meine Einkäufe erstehen und bezahlen. Ich zog mich für eine einstündige Siesta auf das Zimmer zurück, ich war schon beginnend fußlahm, zudem wollte ich noch duschen, um das Parkett des Athenäums nicht mehr als unbedingt nötig zu odorieren.
Kleines Intermezzo: Ich freue mich ja immer riesig, wenn ich schlauer bin, als Google. Heute morgen wollte mich Maps um 7 Uhr losziehen lassen, damit ich nach 5 Umstiegen gegen 10 Uhr an der Antonskirche ankäme. Ich benötigte durch inzwischen erworbene Ortskenntnisse 35 Minuten ohne Umstieg. Zum Athenäum sollte ich mit drei Buswechseln eine Stunde brauchen. Ich schaffte es mit einem Umstieg in knapp 25 Minuten. Ich hege einen Verdacht: Da sitzt ja niemand in Mountain View und studiert Landkarten und Fahrpläne und überträgt das dann. Ich denke, die Daten werden aus Nutzerverhalten generiert. Sibille und Günther aus Iserlohn möchten in Bukarest von A nach B, sie laufen aber über X, Y und Z. Sie benutzen dabei ihr Google-Handy. Hui, denkt der Algorithmus: Sooo also kommt man dahin. Und ich soll das dann nachmachen. Verschwörungstheoretischer Teil beendet.
Das Ateneul Român, wie das Konzerthaus auf rumänisch heißt, ist 1888 fertiggestellt worden und eine wirkliche Perle, außen wie innen. Heute spielte dort das Philharmonische Orchester George Enescu unter der Leitung von Courtney Lewis Beethovens D-Dur-Konzert für Geige, als Solistin Alena Baeva, und die Enigma-Variationen von Edward Elgar.







Das war seeeehr schön! Das D-Dur ist sowieso mein Lieblingsviolinkonzert von Beethoven (Schenkelklopfer!) und die Enigma-Variationen kannte ich noch nicht, sie gefielen mir aber sehr gut. Das Orchester ist Weltklasse. Mit was für einer krassen Dynamik die da spielten. Die Geigerin muss auch gut gewesen sein, denn das Publikum tobte. Scherz beiseite: Ich konnte mich nicht mit allen Kadenzen anfreunden, aber dass sie arg was drauf hatte, merkte man schon.
Ich steuerte nach dem Konzert „The Vault“ an, eine Bar, die im Luxushotel „Marmorosch“ im Keller zu finden ist. Das Hotel war früher ein Bankhaus und die Bar ist im großen Tresor untergebracht. Die Schließfächer, die riesige Tresortür, alles ist noch da. Es waren allerdings nicht die horrenden Cocktail-Preise, die mich wieder vertrieben, sondern der hämmernde Techno-Sound, der mit 180 Dezibel aus den Lautsprechern knallte. Aber witzig ist das schon.




Ich nahm noch ein Bier im Lipscani-Viertel und machte mich auf den Heimweg. Am Gara de Nord kaufte ich in einer Bäckerei noch Blätterteigteilchen, die aß ich auf dem Zimmer. Sie kamen leider nicht an die von Sarajevo heran, das hätte den Tag perf… ach Quatsch, der Tag war perfekt! Tierisch viel gesehen, gut unterhalten worden, Wein im Hotelkühlschrank. Aber ich bin jetzt auch irgendwie ein kleines bisschen erschöpft. Weiß gar nicht, warum.
Gleich schaue ich noch nach, was ich morgen so treibe (lange schlafen steht schon auf der Tanzkarte!). Treibt Ihr mit?
Liebe Grüße auf Bukarest, Euer

