Ihr Lieben,
morgen früh fährt ein Bus nach Trinidad, der mich hoffentlich mitnimmt. Immerhin hatte ich schon daheim ein Ticket erworben. Mit Trinidad ist übrigens nicht das Land gemeint, dann müsste es ja ein Amphibienbus sein. Nein, in Kuba gibt es allerlei Ortsbezeichnungen, die einem von woandersher bekannt vorkommen. Florida und Santa Fé zum Beispiel (in der Nähe des Waldhäuschens meiner Oma in der Lüneburger Heide gab es ein Jerusalem!).
Um dann nicht in aller Herrgottsfrühe wie ein Depp dem abfahrenden Bus hinterherzuwinken, machte ich heute als erstes einen Abstecher zum zentralen Busbahnhof in der Nähe des Revolutionsplatzes, um zu erkunden, was ich denn zu tun habe. Leute, ohne Spanischkenntnisse ist man da aufgeschmissen. Ich wollte mich auf englisch durchfragen, weil ich diese Infos ja gerne in Gänze verstanden haben wollte. Keine Chance. Ich wurde dreimal durch das Gebäude geschickt, bis ich bei einer Dame landete, die mir erklärte, ich sei richtig, ich habe mich anderthalb Stunden vor Abfahrt mit meinem Gepäck genau bei ihr einzufinden. Das ist dann um 7 Uhr früh. Herrjeh! Wo bekomme ich denn um diese Uhrzeit ein Taxi her? Der Fußweg beträgt etwa 40 Minuten, das möchte ich ungern mit meinem ganzen Gepäck machen. Immerhin gab es auf dem Weg wieder einiges zu bestaunen: Schlangen von Menschen an den Banken. Heute ist nämlich der erste des Monats. Und nix mit Ostermontag frei. Monumentalskulpturen von mehr oder weniger verehrenswerten Menschen. Ein uneinsehbares Kastell. Ohne Bewertung. Hm, ist auch ein Gefängnis. Wahrscheinlich werden kritische Bewertungen bezüglich Komfort und Küche gelöscht. Der Rasen am Hügel wird übrigens mit Macheten gemäht. Die Pastel-Verkäufer mit ihren markanten Wagen.
Wo ich doch schon fast in der Nähe des Friedhofes Cristóbal Colón war, beschloss ich, diesen auch zu besuchen. Kleiner Irrtum, war dann doch noch ein ganz schönes Stück zu laufen. Ich habe ja ein Faible für Begräbnisstätten. Muss aber nicht behandelt werden, habe mich diesbezüglich schon informiert.
Der Friedhof gilt als einer der größten im lateinamerikanischen Raum, etwa eine Million Tote sollen hier ihre Ruhestätte gefunden haben. Als Tourist muss man ein Ticket erwerben. Also, mir scheint selbst der Melaten-Friedhof in Köln größer, aber das kann täuschen. Man darf nämlich auch mit Eintrittskarte (toller Filmtitel: Ticket zum Tod?!) nicht überall entlanglaufen und wird notfalls mit der Peitsche des kleinen Mannes, der Trillerpfeife, darauf hingewiesen. Steinmetze scheinen auf jeden Fall hier gute Geschäfte zu machen. Nix mit in der Erde buddeln. Alle schön in Mausoleen oder Sarkophagen, die meisten davon recht aufwändig. Ich hatte zwar eine Karte der wichtigsten Gräber am Eingang erhalten (mit der Bitte um Rückgabe, entsprechend zerfleddert war sie schon), aber die meisten Berühmtheiten sagten mir nichts und so ließ ich mich einfach durch die See von Marmor und Granit treiben. Immerhin fand ich durch Zufall das Grab der Familie Ferrer; Ibrahim Ferrer wurde an der Seite von Compay Segundo durch den Buena Vista Social Club weltberühmt. Mir gefällt dieser Friedhof. Bestimmt nicht der schlechteste Platz der Welt, um den Rest seines Todes zu verbringen.
Es geschah dann etwas sehr merkwürdiges: Bis gestern Nacht war das häufigste Wort, das ich auf Kuba hörte „Taxi?“. Ja, mit dem Fragezeichen. Selbst, wenn ich in meiner Wohnung abends vom Küchentresen zum Kühlschrank lief, rief jemand „Taxi?“. Jetzt, wo meine Füße brannten, gab es kein einziges. Ich lief die 286 Kilometer zu meinem Airbnb zu Fuß, ohne durch „Taxi?“ belästigt zu werden. Ich vermute eine Verschwörung.
Zuhause hielt ich dann erst einmal wieder Siesta. Ich muss in Köln mal unseren Betriebsrat informieren, dass Siesta nach internationalem Recht als Teil der Arbeitszeit anerkannt werden muss. Jaja, genau so habe ich das gelesen! Quelle: Internet.
In Vorbereitung der Reise wurde schnell klar, dass es auf Kuba an grundlegenden Dingen mangelt. Medikamente, Brillen, Hygieneartikel, Schulbedarf. Da ich auf meinem Flug ja recht viel Freigepäck hatte, beschloss ich, diverse Artikel mitzunehmen. Was halt noch in den Koffer passte. Unterstützt wurde ich dabei durch Ute vom Poller Bürgerverein (obendrein meine Vermieterin, Teil der Bürgerinitiative und inzwischen auch Freundin). Ich hatte daher mehrere Kilogramm rezeptfreie Medikamente, Lesebrillen, Stifte, Hygieneartikel, Zahnbürsten, Süßigkeiten (Medikamente für die Seele halt) und dergleichen im Gepäck. Ich wurde in den Facebook-Gruppen davor gewarnt, diese Spenden in staatlichen Einrichtungen oder bei einer beliebigen Kirche abzugeben. Man gerate da zwar nicht durchweg, aber eben möglicherweise doch an unehrenhafte Gesellen.
Ich beschloss, meine Mitbringsel der Organisation „Corazón con Cuba“ zu überlassen und hatte heute Nachmittag eine Verabredung zur Übergabe. Leider wieder am anderen Ende von Vedado. Leute, ich bereue, meinen Schrittzähler nicht mitgenommen zu haben. Was könnte ich mit Kilometern angeben!! Das Treffen fand im „Lager“ der Organisation statt, wo Hilfsgüter von Schulbedarf über Medikamente bis hin zum Rollstuhl vorgehalten werden. Mercedita erläuterte mir, wie Corazón con Cuba arbeitet. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen geben an drei Tagen pro Woche vor Ort Hilfsmittel aus, an den anderen Tagen fahren sie zu Menschen, die nicht mehr selbständig kommen können. Ich konnte selbst erleben, dass Personen vorsprachen und entsprechende Hilfe erhielten. Ich denke, die Sachen sind in den richtigen Händen. Mercedita, tu y tu compañeros hacen una buena obra. El mundo necesita más gente que vosotros. ¡Muchas Gracias!
Auf dem Rückweg war es das gleiche Drama. Kein Taxi. Und es wird ja tagtäglich heißer hier. Daher jetzt bitte alle mal kollektiv „Ohhhh…“ sagen. Lauter, bitte! Geht doch. Dafür sah ich aber Teile von Vedado, die erahnen lassen, wie schön es hier einmal gewesen sein muss.
Ich enterte erschöpft das Hotel Nacional, das einen Garten mit Blick auf das Meer hat. Dort gibt es auch eine Bar. Ich gönnte mir einen Cóctel Nacional und schaute einem Paar und ihren Gästen bei der Hochzeit zu. Mitten in die Ansprachen krähte melodisch ein Pfau. Wusstet Ihr, dass die sooo kreischen? Markerschütternd! Dazu viel Musik. Zudem rennen hier hektisch mehrere Hühner rum. Möglicherweise kommt das Rührei des Frühstücksbüffets ja aus dem hauseigenen Garten.
Was erstaunlich ist: Gestern hatte ich ja einen 12US$-Cocktail und glaubte, in diesem doch eher noblen Schuppen herrschten vergleichbare Preise vor. Weit gefehlt. Umgerechnet 1 Euro 50 pro Glas. Aber als es dann ans Bezahlen ging, war mein Pesos-Portemonnaie verschwunden. Das ist die Crux mit dem Geld hier, man hat dutzende Geldbörsen. Also, tief durchatmen, in Dollar zahlen (was es natürlich wesentlich teurer machte) und hoffen, dass im vermissten Geldbeutel nur Pesos enthalten waren.
Wie es dann weiterging: doch leicht besorgt, war da nicht auch eine Kreditkarte drin? Oder die Zugangskarte zu meinem Büro? Würde ich nie wieder die Firma betreten dürfen, aber dennoch Gehalt beziehen? In der Calle Humboldt angekommen, lag das dumme Ding dann auf dem Küchentresen. Sofort habe ich eine Mail an verschiedene Seniorenzentren geschrieben, ich brauche einen Platz, es sei dringend. Warte jetzt auf Antwort. Bitte, bitte, bitte! Erzählt mir, dass Euch sowas auch passiert!
Eigentlich wollte ich abends in einem Palador essen. Wir würden vielleicht Pop-up-Restaurant sagen. Da kocht eine Familie, man kauft sich ein und sitzt mit lauter fremden Menschen an einem Tisch. Erwähnte ich aber schon, dass ich, je länger ich spanisch am Stück spreche, immer mehr Kauderwelsch dabei herauskommt? Ich war ausreichend erschöpft, was es nicht besser macht, kehrte der Einfachheit halber wieder in den vier Monden von vorgestern ein und wurde nicht enttäuscht. Fischkroketten und Langustenfleisch in Knoblauch.
Am Nachbartisch saß eine kubanisch-deutsche Kleinfamilie aus Aschaffenburg. Er Musiker, sie Tanzlehrerin. Wir haben uns nett unterhalten. Udo, wie wäre es mit einer Jam Session, ich habe die Kontaktdaten!? 🤗
Satt sitze ich jetzt zuhause, muss langsam mal den Koffer packen und mich von Havanna verabschieden. Ich hoffe, ich konnte rüberbringen, dass hier alles irgendwie Achterbahn ist. So einem Wirrwarr von Gefühlen bin ich selten ausgesetzt. Die positiven Eindrücke überwiegen, Gauner gibt es halt überall. Morgen steht mir eine lange Busfahrt bevor, bis ich gegen Mittag in Trinidad ankomme. Kontakt zu meinen Gastgebern dort hatte ich schon gestern. Ich bin muy emocionado! Ihr auch? Na, dann bis morgen!
Liebe Grüße, Euer Gerry