Tag 2: Schippern, shoppen und schlemmen

Welkom opnieuw, geneigde virtuele reisgenooten!

Zu allererst heute einmal eine kurze Hotelkritik. Homeland liegt super, hat einen ganz tollen Style, es gibt diese tolle Terrasse, das unglaublich nette Personal und den Aufzug. Und das Zimmer. Das Zimmer ist etwa so groß wie der Aufzug, aber dafür wesentlich schneller. Wie, was das bedeuten soll? Das muss man vor Ort erleben.
Gut, es ist ein Einzelzimmer. Und es ist ein Guinnessbuch-der-Rekorde-Aufzug. Naja, man schläft ja nur da. Also, im Zimmer, nicht im Aufzug. Dafür gibt es ganz tollen Kaffee zum Frühstück. Ich würde wieder dort buchen, aber ein DZ zur EZ-Benutzung. Und Treppensteigen ist ja bekanntlicherweise gut für die Kondition. Wie, Sie haben das jetzt nicht ganz verstanden? Rufen Sie mich halt einfach an. Ist halt ein Insider. Ist halt manchmal so. Ohjeh, ich muss mal an mich halten mit dem „halt“.

Heimlandpension

Heute wollte uns eigentlich eine Freundin von Otto vom Hotelanleger abholen und mit uns in ihrem Boot durch die Grachten schippern. Leider erfuhren wir gestern Abend, dass sie das aufgrund familiärer Ereignisse nicht tun konnte. Sie bot Otto an, ihr Boot zu steuern, was dieser aber nicht so gerne wollte, wofür wir alle vollstes Verständnis hatten. Nach einer etwa zweiminütigen Diskussion beschlossen wir einstimmig, ein Boot zu mieten. 3 Stunden für 120 Euro. Wenn mal alles so unkompliziert in unseren Parlamenten liefe!

Schwanengracht

Nach dem Frühstück versammelten wir uns gegen 11 Uhr auf dem Anleger. Das Wetter war nicht soooo dolle und es nieselte auch ein wenig. Wir erfreuten uns an einem Schwanenpaar mit Nachwuchs, das von Matrosen eines Dreimasters verköstigt wurde. Ehrlich? Ein Schwan mit Brut, der nach meinen Fingern schnappt steht nicht wirklich weit oben auf meiner Wunschliste. Ich fürchte, ich bin manchmal zu ängstlich. Denn die Bootsbesatzung hat in toto überlebt. Ohne Fingerverlust.

Alle drauf? Manche Selfies erfordern schwerste Konzentration!

Otto und Rolf, die das Bötchen erst etwas außerhalb abholen mussten, schipperten dann bald vorbei und nahmen uns an Bord. Vorbereitet war ein kleines Buffet aus Käse, Wurst, Cräckern und Getränken und los ging’s. Ich bin ja gebürtiger Hamburger (ein Muschelschubser) und denke, dass da etwas in meinem Blut liegt… Wasser und Boote? Ja, passt, muss ich machen! Ich liebe es! Und es war toll!

Otto navigierte uns durch die Grachten, es war ein Fest. Fast konnte man denken, er sei aus Amsterdam. Äh… ooops. Ist er ja auch irgendwie…. Manchmal ließ er sogar Markus oder Monika ans Lenkrad. Aber immer wenn wir hysterisch aufschrien (Eisberg und so), griff er korrigierend ein. Wir sind wirklich enorm viele Grachten langgefahren. Und manchmal haben wir unter Brücken verbotenerweise ein bisschen gejohlt. HUUUUUUP! Interessant war, dass die professionellen Schiffer uns manchmal absichtlich scharf schnitten. Otto erklärte die Hackordnung auf Ij, Amstel und Prinsengracht: Kreuzfahrtschiffe – Ausflugsboote – Mietboote – Tretboote – Schwimmer – Fische. Apropos Boote: Wir hätten alle gerne ein Hausboot in Amsterdam! Wir suchen noch nach Sponsoren!

So eins vielleicht?

Also, ich versuche ja, bestimmten Erlebnissen nicht allzu viel Raum zu geben in meinen Berichten. Aber das war der Hammer! Das war mega! Das war toll! Das würde ich gerne jeden Tag machen! Eine kleine Kreuzchenfahrt mit tollen Menschen und einem kalten Glas gegorenem Traubensaft. Und nein, genau deswegen war ich nicht am Steuer.

Kurz vor Ablauf der Zeit legte Otto nah der Innenstadt an und entließ uns zum vielgewünschten Tagesordnungspunkt „Shoppen“. Er brachte mit Rolf das Boot zurück zur Anmietstelle und wir vereinbarten, uns in einem Restaurant zu treffen, das sie uns per WhatsApp noch mitteilen würden. Nach einem kurzen Spaziergang traf die Meute auf die erste Boutique. Da ich ein Deja-vu hatte (in Istanbul und Rom wurden schon viele Shops von Teilen der Gruppe überfallen!), empfahl ich mich und zog auf eigene Faust los.

Über einen Flohmarkt, auf dem ich mit einem Maler über seine Werke sprach und heute bereue, nicht etwas gekauft zu haben, weiter über Zugbrücken, an Kirchen und schönen Häusern vorbei zog es mich in die „9 straatjes“. Dort gibt es schöne Galerien, kleine Restaurants, Boutiquen und dergleichen. Aber alles sehr ausgesucht. Ich hätte beinahe eine witzige Skulptur gekauft. Aber ich hätte nicht gewusst, wohin damit.

Es kam dann irgendwann per WhatsApp die Ansage, wir träfen uns zuerst im Schwulenviertel für ein Vorglühbier im „Taboo“, um dann in der Nähe bei dem Italiener „Saturnino“ essen zu gehen. Draußen war die Bar pickepackevoll, so dass wir drinnen unsere Getränke nahmen. Wir hatten es vorher auf der anderen Seite versucht, aber dort mochte man keine Gäste haben. Kundschaft? Igitt! Dann der Italiener. Ganz tolle Mannschaft, super Essen und ein Missverständnis. Ein Missverständnis?

Rolf erzählte uns, dass die Niederländer es mit Geburtstagen nicht so ernst nähmen. Man könne durchaus mal ein paar Tage vorher feiern. Und irgendwie wurde das auch am Tisch noch thematisiert und schwupps! bekam Otto unter Gesängen ein Wunderkerzentiramisu gebracht, obwohl er erst am Montag wirklich 42 Jahre alt wird. Oder 43 . Oder irgendwie sowas.

Nach dem Essen gingen wir zurück zur Bar, wo wir durch diplomatisches sowie durch hintertück’sches Geschick bald einen Tisch sowie sukzessive Hocker für alle Beteiligten eroberten.

Irgendwann trennten wir uns auch dort wieder und es kam – nach einer Tramfahrt – zum inzwischen fast ritualisierten, ja, ich möchte meinen traditionellen Absacker auf der Hotelterrasse. Ich weiß – wir sind ja in einer Nachschau und nicht in einer Liveshow – gar nicht mehr, ob die Schützenrunde aus Kierspe an diesem oder am vorherigen Abend uns so irritiert hatte. Man wollte uns ein Gespräch aufdrängen, dass keiner von uns wirklich willens zu führen war. Aber es hat unsere gute Laune nicht wirklich gestört.

Wie? Skandale? Die Skandale werden vermisst? Naja, immerhin haben sich Menschen aus unserer Gruppe in aller Öffentlichkeit geküsst! Igitt! Viel wichtiger ist: Die Shopping-Gruppe war äußerst erfolgreich und hat viele tolle Schnäppchen ergattert!

Morgen gibt es dann den Bericht zum Amsterdamer Sonntag. Und ich verspreche nicht zuviel, wenn ich behaupte, es gibt Action, Drama und Romantik.

Dus tot morgen!
Uw Gerald

Also, melde Dich… ?

Tag 2: Berlin – Keine Erfahrung, sondern eine Erlatschung

Eenen wundascheenen juten Abend, die Schaften!

Gestern Abend war ich im „Il mondo“ essen, da es in der Nähe des Hotels liegt und laut Google ein gutes Restaurant ist. Ich bekam auch einen Tisch auf der Terrasse, obwohl die gut besucht war und ich alleine einen Vierertisch belegte. Leider, aber dafür kann das Restaurant nix, guckt man auf Baustellen und Dixie-Klos. Dafür war das Essen ganz lecker.

Mit dem Hotel bin ich auch ein bisschen versöhnt, weil die Mitarbeiter fast alle sehr nett sind. Zwar war beim Frühstück das Brötchen heute besser als das von gestern, aber dafür erhielt ich heute den Beweis, dass die gekochten Eier hier die Diamanten als härtesten Stoff der Welt abgelöst haben. Eine 11 auf der Mohs-Skala!

Das Wetter war heute wieder als durchwachsen angegeben, aber ich traute mich im Frühlingsfummel und ohne Jacke raus. Das war auch gut so, denn trotz teilweiser Bewölkung war es sehr schwül.

Hackescher Markt

Mit der Bahn wollte ich dann erst einmal so lange in die Stadt reinfahren, bis mir die Haltestellenansage etwas entlockte. Das war dann beim Hackeschen Markt der Fall. Prima, so dachte ich, dann kannst Du da vor den S-Bahn-Bögen einen schönen Kaffee schlürfen. Aber da hat mir Presslufthammer-Bernhard einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und zwar der, der dazu auf einer Art Bagger sitzt. Echte Berliner Touristen stört das nicht wirklich, viele haben dort ihr Frühstück eingenommen. Aber mir war das zu ungemütlich. Also beschloss ich per pedes einfach loszulaufen.

Über die Friedrichsbrücke, an den Museen der Museumsinsel vorbei, über „Unter den Linden“ zum Gendarmenmarkt, wo ich das erste Mal auch in einen der Dome reinschaute (unspektakulär), durch einige Passagen (Quartier 205 ist ganz nett) über die Galeries Lafayettes, wo ich eine zumindest preislich höchst exklusive Limonade konsumierte, dann mit Umwegen zum Brandenburger Tor, wo ich in eine Demonstration geriet, von der ich aber nicht verstand, wogegen die war, da etwaige Forderungen dort in einer mir unbekannten Sprache skandiert wurden.

Alte Nationalgalerie
Quartier 205
Ein Tor in Berlin

Da ich gerade so in Fahrt war, lief ich auch direkt noch durch den Tiergarten, auch das eine Premiere. Der ist ganz hübsch, hier und da Statuen und Inselchen und Flüsschen. Viel Volk unterwegs, gerne im Fahrradpulk, da Sightseeing per pedales jetzt wohl gerade schwer angesagt ist. Es gibt im Tiergarten neben in Stein gehauener adliger oder künstlerischer Prominenz auch einen Steinkreis mit Steinen aus 5 Kontinenten. Eine Tafel erklärte, was es damit auf sich haben soll. Leider so verschwurbelt, dass man es kaum versteht. Irgendwas mit universellem Frieden.

Wilde Tiere im Tiergarten

Ich bog ab Richtung Landwehrkanal und geriet in das Botschaftsviertel. Leute, Leute. Da sind ja Bauten dabei. Die arabischen Emirate z.B. haben versucht, einen orientalischen Palast nachzubauen. Ob das wirklich schön ist, müssen Ästheten unter sich ausmachen. Auch Vertretungen der Bundesländer haben dort ihre Bleibe. Hinter diesem Viertel gelangte ich zum Lützowplatz. Selten habe ich eine so hässliche Parkanlage gesehen. Die Beete mit Metallzäunen eingezäunt, ein paar sehr traurige Skulpturen, alles zubeschildert. Schade.

Kunst kann durchaus auch deprimieren…

Über den Wittenbergplatz, wo ein kleiner Markt stattfand, lief ich zum Breitscheidplatz. Hinter der gerade teilweise eingezäunten Gedächtniskirche gibt es eine Erinnerungsinstallation an den Terroranschlag vom 19. Dezember 2016. Da läuft es einem eiskalt den Rücken runter. Ich besuchte übrigens auf dem Weg hierher auch die Neue Wache, die ja auch ein Mahnmal ist. Auch dort bekam ich Gänsehaut, als ich die Tafel links des Eingangs las. Nun, diesmal war auf dem Breitscheidplatz ein Spargelfest. Alles umbaut mit LKW-Stopp-Anlagen. Sehr traurig.

Ich kaufte mir an einer der Buden ein Bier und setzte mich in eine Loungeecke. Von dort aus hatte ich einen prima Blick auf den Wächter der Pachtoilettenanlage, der nicht eine Sekunde still sein konnte. Wenn er nicht mit seinen 50ct-Kunden sprach, schwadronierte er mit sich selber. Alles mit „Berliner Schnauze“. Ich würde mal sagen, das ist wohl so eine Art Berliner Original.

Alex

Vom Bahnhof Zoo nahm ich dann die Linie 200 zum Alexanderplatz. Die 200 gilt neben ihrer Schwesterlinie 100 ja als Sightseeingbusalternative, weil beide viele Sehenwürdigkeiten auf der Strecke haben. Aber irgendwie war das dann doch kein sooo toller Plan, da der Bus a) sehr voll war und b) auch viel Verkehr herrschte und wir ewig brauchten. Vom Alex aus war ich dann aber mit der U5 wieder ruck-zuck in meinem Hotel.

Nach einer kurzen Verschnaufpause, in der ich u.a. meinen Gratiswein zu mir nahm (wenn man aufs Zimmerputzen verzichtet, bekommt man ein Getränk aufs Haus) und ein bisschen vor mich hin geglotzt habe, wollte ich zum Abendessen zu einem anderen Italiener in der Nähe. Vorher brauchte ich aber noch Wein aus dem im Gebäude befindlichen Supermarkt. Und dort verkaufte ein junger Mann mit Schweinebraten und Kassler belegte Brötchen. Das duftete so gut, dass ich von jeder Sorte eins nahm und dies als Abendbrot verzehrte. Saftig und lecker, eine gute und recht preiswerte Entscheidung! Gleich gucke ich mir noch einen netten Film an (man hat hier im Hotel ein paar kostenfreie Filme zur Auswahl. Nee, nicht, was Ihr wieder denkt!!!) und dann war auch dies ein gelungener Tag für mich.

Morgen will ich mal nach Kunstmärkten gucken, abends ist dann Kleinkunst angesagt.

Tschökes mit ökes, wa!?

Euer Gerald

Auch noch morgen: EIn Termin für eine Spange
Wenn man nachts mal eine Fressattacke bekommt… oder tagsüber… oder irgendwann…

Tag 1: Die *hicks* Anreise

Goede dag, lieve lezers!

Nun aber mal mit dem notwendigen Ernst, wie es tatsächlich war…

Schon im Vorfeld haben wir natürlich Vorbereitungen für unsere Doppelkopfreise nach Amsterdam getroffen: Prosecco im Selbstversuch verkostet, Programme ausgearbeitet, Otto nervös gemacht, ein Hotel gebucht und Bahnfahrkarten gekauft sowie 6 Plätze im ICE an zwei gegenüberliegenden Tischen reserviert. Nur Jasmina konnte noch nicht fest buchen, da es noch wegen des Jobs und wegen Nordmann, ihrem Hund, Dinge zu klären gab. Irgendwann waren aber auch diese Dinge geregelt und sie konnte noch einen weiteren Platz an unserem Tisch ergattern. Inzwischen hatte sich auch eine ahnungslose, arme andere Gestalt dort einen Platz gesichert, nicht wissend, welche Hölle ihm bevorstand.

Die glorreichen Sieben – Nummer 8 wartet ja schon in Amsterdam

Am Freitag, dem 14. Juni ging es dann mit Verspätung von Köln aus los. Wir hatten reichlich Proviant dabei, man kennt das ja mit der Deutschen Bahn. Man muss vorbereitet sein! Auf der knapp dreistündigen Fahrt konsumierten wir 5 Flaschen Sekt (eine Mitreisende hatte nur zwei Gläschen!), vier Pakete Würstchen, Dutzende von Brezeln sowie Erdbeeren, gezuckert und mit Triple Sec vor dem schnellen Verderben konserviert. Ja, Vitamine sind wichtig. Mit Erdbeeren im Sekt macht man aus jeder Sauftour quasi eine Gesundheitsreise.

Unser 8. Rad am Wagen war übrigens mit großer Geduld gesegnet. Und man muss dazu auch sagen, das wir bei weitem nicht die schlimmste Gruppe im Zug waren. Ich sach nur Junggesellenabschied! Gänsehaut. Malträtiert haben wir außerdem die Zugbegleiterin. Sie musste heiteres Pärchenraten spielen. Eine etwas undankbare Aufgabe, wie ich finde.

In Amsterdam angekommen, wurden wir von Otto mit viel Geherze und Geknutsche in Empfang genommen. Er war ein bisschen traurig, dass wir keine bunte Kühltasche dabei hatten, die er hätte für uns tragen können. Das hat er nämlich auf unserer gemeinsamen Reise nach Lüttich mit großer Hingabe getan.

Abbey Road in Amsterdam. Wer findet die Deutschen?

Auf dem Weg zu unserer Pension Homeland machten wir einen ersten touristischen Stop im Schiffahrtsmuseum, dessen Glasdach im Innenhof ein architektonisches Schmuckstück ist. Wir haben es dann auch ausreichend bewundert. Im Homeland checkten wir nur kurz ein, machten ein bisschen Katzenwäsche, tranken am Anleger des Hotels noch ein Aufwärmgetränk (wir hatten ja schon so lange nichts mehr gehabt) und begaben uns dann auf den Weg zu Ottos Domizil. Mit Stop an einem Museum. 20 Minuten Fußweg bis dorthin. Man merke sich bitte diese Zahl. Sie ist magisch!

Schönes Schifffahrtsmuseumsdach
Fast noch schöneres Schifffahrtsmuseumsdach

Auf dem Weg machten wir – wie schon vorab beschlossen – Halt in der Kirche „Ons‘ Lieve Heer op Solder“, die besterhaltene In-house-Kirche Amsterdams. Solche Art Kirchen wurden eingerichtet, da man den Katholizismus zwar irgendwie duldete, aber in der Öffentlichkeit nicht wirklich wahrnehmen wollte. Diese Kirche ist nun ein Museum. Mit dem sehr informativem Audioguide wirklich einen Besuch wert, erstens wegen der interessanten Geschichten über die Bewohner/Betreiber dieser Kirche (u.a. der deutsche Kaufmann Jan Hartmann) als auch vor dem Hintergrund des nicht einfachen Zusammenlebens konkurrierender Religionen im 17. Jahrhundert.

Dies ist KEIN Callcenter!

Eine Ausstellung des israelischen Künstlers Eran Shakine „A Muslim, a Christian and a Jew“, die sehr humoristisch Gemeinsamkeiten der Religionen aufzeigt, vervollständigte den Besuch der Kirche unter dem Dachboden.

Bei inzwischen strahlend blauem Himmel liefen wir dann zu Ottos Domizil im Stadtteil Jordaan. „Das dauert 20 Minuten“. Seine Wohnung ist toll. Wir aperitivierten auf der Dachterrasse und konnten uns nur schwer dort wieder lösen, da es so schön und bequem war. Aber Otto hatte einen Tisch bei einem Argentinier bestellt, wohin wir uns dann auch aufmachten. Wir aßen sehr gut dort, sehr fleischlastig meinerseits, aber man geht ja auch nicht zum Argentinier, um dann Sojasprossensalat zu verzehren. Nicht wahr, liebe Rohkost-Ruth? Hach, immer diese blöden Insiderwitze…

Amsterdam bei Kaiserwetter

Es gab dann noch einen Absacker bei Otto auf dem Balkon. Vorher aber klingelte er bei sich nebenan an und wir durften Teile des dort befindlichen… nun ja, eben nicht Seniorenheims im klassischen Sinne besichtigen. Zwei Dutzend Menschen im Ruhestand leben dort in Gemeinschaft mit drei jungen Studenten, die dort preiswert wohnen dürfen, dafür aber im Gegenzug Hilfestellung leisten. Das Gebäude und der Garten sind wunderschön. So kann Altsein auch sein.

Auf dem Weg nach Argentinien. Ich übe, den Bauch so weit wie möglich rauszustrecken. Ganz schön anstrengend, diese Übung!

Da der Heimweg mit 20 Minuten abgeschätzt wurde, fuhren wir nach einem ersten tollen Tag mit der Straßenbahn dann wieder ins Hotel, wo ein Großteil der Gruppe dann noch einen oder zwei Absacker nahm. Rolf blieb natürlich bei Otto.

Was es jetzt mit den 20 Minuten auf sich hat? Naja, das ist eine erfundene Zeiteinheit. Das ist wie Gleis 9 3/4. Gibt es halt nicht. Schon gar nicht, wenn Schuhläden auf dem Weg liegen oder man einen Sachverhalt etwas genauer diskutieren muss. Man muss dazu nämlich stehenbleiben, sonst klappt das nicht. 🙂

Mehr Skandälchen gäbe es dann morgen wieder.

Tot ziens!

Euer Gerry

Kannst Du bitte einmal im Leben ein bisschen Würde zeigen?

Prolog: Dans le port d’Amsterdam

Beste mensen!

Schon Jacques Brel besang Amsterdam in einem sehr schönen Chanson. Übrigens ebenso wie Brügge. Was das jetzt für dieses „postume“ Tagebuch bedeutet (denn die Reise liegt schon fast eine Woche zurück) wird später aufgeklärt.

Dieses Tagebuch wird wahrscheinlich mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Es ist nichts anderes als ein schonungsloser Enthüllungsbericht über die höchst verwerflichen Unarten meiner Mitreisenden. Alle in einem Sumpf aus Alkohol, Glücksspiel (DOKO, eins der widerlichsten Spiele überhaupt!) und zu viel Urlaub versinkend und andere in diesen Morast hinabziehend. Einige haben sich nicht entblödet, sich öffentlich zu küssen! Es ist beschämend!

Die Recherchen und Erstellung von Gedächtnisprotokollen zu dieser Skandalreise erfordern etwas Zeit und Aufwand. Daher haben Sie etwas Geduld mit der Rekonstruktion!

Sollten Sie in den nächsten Tagen hier keine Einträge mehr vorfinden, hat mich der Mob wahrscheinlich schon in seinen Fängen und ich bin rettungslos verloren! Dieser ist nämlich bemüht, eine umfassende Aufklärung des Skandals mit allen Mitteln zu verhindern!

Ihr Gerry (ich habe ANGST!)

Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!!

Juten Tach ooch!

Nun ja, es müsste ja eigentlich heißen „ich fahre nach Berlin“. Noch richtiger wäre „ich fuhr nach Berlin“, denn ich bin ja nun schon da!

Ick liebe Bärlin!

Gestern hörte ich mal fast sofort nach Ende der Kernzeit auf zu arbeiten, um um 16 Uhr 48 den ICE nach Berlin zu nehmen, aber nicht ohne vorher noch Reiseproviant einzukaufen. Im Bahnhofs-REWE war es pickepackevoll, so dass mein großzügig bemessenes Zeitfenster mir ausreichend Zeit zum Schlangestehen ließ. Zwei überteuerte Wraps und eine Flasche Pinot Grigio zum – oho – Normalpreis wanderten in mein Reisegepäck.

Der Zug selber wurde in Köln bereitgestellt, so dass er auch pünktlich startete. Aber: er war ebenfalls pickepackevoll, und alle Plätze waren reserviert (schlaue Menschen tun das!), so dass es zu tumultartigen Szenen unter den Passagieren kam, weil sich Reisende und deren Gepäck auf den schmalen Gängen türmten. Jawohl, auch die Reisenden türmten sich! Die halbherzigen Durchsagen der Zugleitung, man möge doch sein Gepäck so verstauen, dass die Gänge passierbar blieben, sorgte immerhin für entspannende kollektive Erheiterung. Wir benötigten dann schon eine Stunde nach Wuppertal. Mein Sitznachbar hatte extra den Zug gewechselt, da seiner schon verspätet war und er sich erhoffte, auf Umwegen schneller zum Ziel (Hannover) zu kommen. Tscha…. Aber immerhin hatte er einen der reservierten Plätze ergattert, auf die keiner Anspruch erhob. Und er war sehr nett, so dass ich auch Glück hatte, denn manchmal hat man ja schlimme Sitznachbarn (siehe Flug nach Bangkok in 2018).

Irgendwie kamen wir dann aber in Berlin an – in Hannover bekam ich dann eine Sitznachbarin, die auch schon eine kleine Odyssee hinter sich hatte und mitten auf der Strecke in einem Kuhdorf aus ihrem bayerischen ICE aussteigen musste – und das nur mit 40 Minuten Verspätung. In Hannover hatten wir nämlich auch noch etwas ungeplanten Aufenthalt wegen eines randalierenden Fahrgastes, der durch die Bundespolizei aus dem Zug entfernt werden musste.

Woran man randalierende Fahrgäste erkennt? Skulptur aus dem Museum in der Kulturbrauerei.

Vom Hauptbahnhof aus war ich in fastnullkommanix im Hotel. Achtung, jetzt kommt Köln-Bashing! Liebe KVBler: Fahrt doch mal nach Berlin und guckt Euch da an, wie Nahverkehr funktioniert. Man steht nicht etwa 45 Minuten dumm in der Gegend, weil nix kommt. Nee, da schwuppt alles! Wie übrigens auch in Hamburg! Wie wahrscheinlich überall auf der Welt, außer in der Stadt, in der noch alles joot jejange hätt! KVB-Bashing beendet.

Das Hotel ist stylisch, aber die Zimmer sind sehr klein und haben keine Schränke. Zwischen Bett und Fernseher hat man geschätzte 3 cm Platz, um sich durchzuzwängen. Selbst Twiggy hätte hier Probleme gehabt.

Mein Zimmer ist über dem ersten „e“…

Nach einer trotzdem guten Nacht und einem der Prospektaussage („einmalig gut“) widersprechenden Frühstück (der Kaffee super, Obstsalat okay und Tetrapack-Rührei und steinharte Weizenbrötchen zum wegschmeißen) setzte ich mich in die S-Bahn nach Potsdam, um das Museum Barberini zu besuchen; es regnete nämlich. Die Austellung wurde neu aufgebaut, daher gab es nur eine kleine Ausstellung in der obersten Etage zum Thema Künstler der DDR. Die meisten Namen kannte ich gar nicht, aber es war eine sehr kleine, konzentrierte und gut gemachte Schau. Der wiederaufgebaute Palast Barberini sowie der Alte Markt mit Rathaus, Stadtschloss, Nikolaikirche, Obelisk etc. sind ein schöner Rahmen.

Das Bild von Bernhard Heisig heißt „Die schöne Jugendzeit“. Ich finde, da passe ich gut hin. So als Kontrapunkt.

Inzwischen kam die Sonne durch und ich stieg in der Nikolaikirche auf den Turm, wo ich grandiose Ausblicke hatte. Beim Betreten der Kirche kam ich rechtzeitig zu einer sehr spärlich besuchten Andacht, es wurde ein Psalm gesungen und gebetet, und nach dem Abstieg hatte ich ein kleines Orgelkonzert fast für mich alleine. Aus der Badinerie von Bach die Arie und der Hochzeitsmarsch aus Mendelssohn Bartholdys Sommernachtstraum, sehr gut interpretiert und schnell und wuchtig vorgetragen. Nicht so bräsig, wie bei vielen Interpreten.

Rechts die Nikolaikirche
Turmblick

Von der Nikolaikirche lief ich dann in den Schlosspark, guckte mich dort nur ein bisschen um (ich war ja schon mehrmals da) und besuchte dann die Innenstadt. Also, was hat die sich verändert, seit ich vor ca. 25 Jahren das erste Mal dort war. Ein Kleinod, trotz Karstadt und McDonalds. Mit vielen Restaurants dazwischen und alles sehr pittoresk.

Sankt Sorgenlos
Potsdam City

Von Potsdam aus fuhr ich, einem Ratschlag meiner Freundin Ruth folgend, in die Kulturbrauerei im Kiez Prenzlauer Berg. Dort befindet sich ein DDR-Museum, das wohl vom Haus der Geschichte betrieben wird und mit viel Interaktion das Leben in der DDR, nein, nicht erklärt oder erläutert, sondern zeigt. Mit Gegenständen, Ton- und Schriftdokumenten. Sehr lohnenswert und toll gemacht! Eine Fotografienschau von Daniel Biskup mit Aufnahmen von 1990 bis 1995 im Nachbargebäude ist auch sehenswert.

Caravan der Sonderklasse

Mit der S-Bahn ging es dann wieder zurück nach Friedrichshain, wo mein Hotel ist und ich gerade diese Zeilen schreibe. Inzwischen ist das Wetter wunderbar und ich werde versuchen, irgendwo auf irgendeiner Terrasse irgendetwas zu essen zu bekommen. Irgendwie. 🙂

Pläne für morgen habe ich noch nicht, aber es ist ja auch mal nett, einfach nur so in den Tag hineinzuleben. Wenn Ihr mögt, gibt es morgen dann Neues aus der Hauptstadt.

Euer Gerry

„Wie wohl das Wetter morgen wird…?“
„Weiß auch nicht, bin skeptisch.“

Tag 5: Reiseschlussverkauf

Ihr Lieben. ♥

Fünf Tage sind rumgegangen wie nix. Aber es waren fünf sehr spannende und schöne Tage.

Heute früh habe ich mich lange mit einem Mutter-Sohn-Gespann unterhalten, das gestern ankam. Die bleiben etwas länger und wollen auch mal nach Essaouira und ins Atlasgebirge fahren. Könnte ich mir auch gut vorstellen.

Bevor ich mein Zimmer um 12 Uhr räumen musste, führte mich mein erster Spaziergang wieder in die Souks, da ich eventuelle Souvenirs noch verstauen wollte. Ich kaufe aber nur etwas grünen Tee mit Minze.

Der Einmachglas-Souk

Nach dem Packen schlug ich mich Richtung Süden zum Badi-Palast durch. Dabei kam ich an einer Art Fotoschrein des Königshauses vorbei. Man verehrt die Familie sehr.

Der Badi-Palast hat sich gelohnt. Eine sehr schöne Ruine, auf deren Mauern Dutzende Störche hausen, ein paar Gelasse mit kleinen Exponaten aus Kalligraphie und Kartographie sowie eine Minbar aus dem 12. Jahrhundert. Minbar, nicht Minibar, wie die Autokorrektur gerade meinte. Das ist ein Art Predigerthron.


Am Place des Ferblentiers kam ich dann doch noch zu meinem Thé royale, diesmal aber zum Preis von 30 Euro pro Kilogramm statt der 200 von vorgestern. Ich erstand 300 Gramm. Auch Sandelholz erwarb ich noch günstig.

Auf meinem Weg zurück wurde ich in einem Vierpersonentheaterstück Ensemblemitglied. Schauspieler 1 erzählte mir von der einmaligen Gelegenheit, echten Berbern bei ihrer Handarbeit auf dem nur heute stattfindenden Berbermarkt zuzuschauen. Er hielt den ihm scheinbar unbekannten Schauspieler 2 auf. „Bring meinen Freund mal Richtung Berbermarkt, aber ohne Geld, verstanden?“. Der brachte mich dann tief in mir unbekannte Souks fast ohne Touristen und lieferte mich beim Berberchef xy (Acteur No. 3) ab, der in einer Gerberei residierte. Dort hätte ich gegen Gebühr Fotos machen dürfen. Habe ich dann nicht und dann ging es auch schon nur noch um Geld. Ob ich denn jetzt gar nichts zahlen würde? Was das denn solle? Ich sagte, absolut nicht, da ich mich geneppt fühle und drehte um.

Immerhin habe ich so mal eine Gerberei gesehen. Stinkt ganz schön. Und wenn von Anfang an einer gesagt hätte, komm, gib mir 5 Euro, dann führe ich Dich rum… okay. Aber so ist das doof. Liebe ehrliche Marrakeschis, wenn Ihr angepflaumt werdet, obwohl Ihr nur freundlich sein wollt, dann liegt das an diesen… Schelmen.

Jetzt sitze ich im Riad im Innenhof, warte auf den Transfer und dann war es das auch schon wieder.

Es war eine tolle Reise, das Riad war sehr gut, das Essen echt lecker und die Marokkaner sind in der Regel sehr hilfsbereite und sympathische Menschen. Schade, dass das keinem auf der Stirn geschrieben steht.

Aber es ist definitiv ein Wiederherkommort. Was macht ihr denn z. B. alle so an meinem 55. Geburtstag 2021? ?

Im September würde ich mich über Eure virtuelle Begleitung während meiner Autofahrt durchs Baltikum freuen. Bis dahin allen alles Liebe und Gute.

Euer Gerald

Tag 4: Rechtsmaurisch und linksmaurisch

Bon soir, mes amis!

Also, das ist hier ein bisschen wie in Köln. Es gibt einen quasi linksrheinischen und einen quasi rechtsrheinischen Teil von Marrakesch. Im rechtsmaurischen Teil wohne ich und war hauptsächlich auch bisher dort unterwegs. Links von der Mauer befindet sich Gueliz, die Neustadt. Da wollte ich jetzt mal genauer hinschauen. Um es vorweg zu nehmen: Wie in Köln ist der rechtsseitige Teil natürlich viel interessanter und schöner!

Aber von Beginn an. Der Temperatursturz ist eingetreten. 22 Grad beim Frühstück!!! Da habe ich mir vor lauter Frost erst einmal ein Spiegelei bestellt. Und Obst gegessen wegen der Vitamine. Hoffentlich hilft das gegen die drohenden Begleiterscheinungen des nahenden Winters.

Mal so gaaaanz andere Souks!

Nach dem Frühstück machte ich mich auf in die südwestlich des Djemma el Fna gelegenen Souks. Die sehen wieder einen Tacken anders aus als die anderen. Wobei die Auswahl an Waren sich wiederum kaum unterscheidet. Ein paar sehr herausgeputzte Riads gibt es da. Ich umrundete die Koutoubia-Moschee und lief dann die Avenue Mohammed V entlang. Ganz zu Anfang liegt der sogenannte Cyber-Park. Ohne Eintritt und unspektakulär, aber sehr schön! Sponsored by Maroc Telecom. Viele der Gewächse sind beschrieben und alles ist gärtnerisch sehr nett gestaltet.

Der Cyber-Park könnte wegen des Namens den ein oder anderen Science-Fiction-Fan enttäuschen.

Weiter ging es die Avenue entlang, über den Platz der Freiheit und den Platz des 16. November, bis ich in den links gelegenen Nebenstraßen auf das Museum MACMA, Musée d’art et de culture de Marrakech, stieß. Der Name des Museums ist ein ganz kleines bisschen irreführend, da es hauptsächlich um Fotografien von ca. 1850 bis in die 1970er Jahre geht. Alles ist thematisch gut aufbereitet, die Ausstellung sehr ansprechend gestaltet. Vor allem die Porträts sind allein einen Besuch wert. Obwohl ein Kommentator bei Google hierzu von „Geiselnahme der Portraitierten in ekelhaftester Weise“ fabuliert. Gibt schon interessante Auffassungen.

Lohnt! Das 70-Dirham-MACMA.

Mein nächster Abstecher ging in das Carré Eden Einkaufszentrum. Alles da, was wir hier sonst schwer vermissen würden: H&M, Zara, Carrefour-Supermarkt uswusf. Die Preise scheinen mir hier seeeehr zivil zu sein. Wenn man drinnen ist, erinnert aber nix mehr an 1001 Nacht. Könnte so auch in Ennepetal stehen, nur dass ein Carrefour dort natürlich exotisch wirken würde. Im Carrefour kaufte ich mir eine Orangina und wurde aufgeklärt, ich könne mir umsonst noch eine zweite holen. Da haste aber mal jemand durch die Gänge flitzen sehen. Ich hatte nämlich Megadurst!!! Nicht dass mir da noch einer Sparfüchsigkeit unterstellt. Die Kassiererin hatte auf jeden Fall Spaß.

Auf dem Rückweg zur Medina besuchte ich das Ensemble Artisanal Marrakech, ein Gebäudekomplex, in dem ein paar Dutzend Kunsthandwerker und Kooperativen ihre Läden haben. Keiner bedrängt einen und an allem klebt ein Preisschild! Ich hatte Tränen der Freude in den Augen!! Aber es ging auf das Freitagsgebet zu, so schloss ein Laden nach dem anderen und die Besitzer und Angestellten strömten zur Moschee. Ich strömte einfach mal mit und setzte mich vor der Koutoubia-Moschee auf eine Bank, lauschte dem Muezzin und sah der Bevölkerung beim Strömen zu.

Kunsthandwerk zum Festpreis.

Als der Muezzin geendet hatte, lief ich weiter zum Djemma el Fna. Dort wurde die Freitagspredigt per Lautsprecher übertragen und die Budenbesitzer versammelten sich semiprovisorisch auf dem Platz und verrichten ihre Riten. Daher waren viele Stände verwaist. Ich nahm bei einem scheinbar gottlosen oder mit einer Ausnahmegenehmigung versehenen Saftverkäufer einen überteuerten Drink zu mir (die Mehrkosten wurden durch meinen Wunsch nach Ingwer im Drink gerechtfertigt) und schaute dem Spektakel zu.

Dann tauchte ich wieder in die Souks ein und besuchte erneut die Dachterrasse des Café Árabe. Diesmal gab’s zum Bier ca. 2 kg Oliven und scheinbar selbstgestrickte Grissinistangen. Sehr lecker.

Souk des teinturiers

Apropos selbstgestrickt: Nach der Erfrischung stolperte ich ohne Absicht in den Färber- und Wollsouk. Der hatte also quasi nun mich gefunden! Dort erstand ich dann einen Schal in einem Laden, der noch einen steinernen Färberbottich hatte. Dort habe ich für meinen nächsten Besuch noch eine Haartönung frei, sollte ich in den Bottich steigen wollen. Ein paar Läden weiter kaufte ich eine paar Holzschnitzereien und bekam dann in meiner Gegenwart einen Glücksbringer hergestellt. Alles mit der „Fuß-Black&Decker“.

Mein Glücksbringer wird hergestellt.

Ich guckte noch bei einem Concept-Store namens Max & Jan vorbei, aber die wirklich netten Sachen, die die hatten, waren mir ein Jota zu teuer. Daher zog es mich erst einmal wieder in mein Riad, das jetzt komplett ausgebucht zu sein scheint. Hier boxt der Papst. Aber ist ja auch nett hier. Gegen die Hellhörigkeit mussten allerdings gestern Nacht die Bilsom 3000 in die Lauscher. So heißen meine favorisierten Oropax. ?

Eigentlich wollte ich im Riad zu Abend essen, aber das hätte ich spätestens beim Frühstück ankündigen müssen. Leider vergessen. Daher begab ich mich vor Sonnenuntergang zum Café de France, das viele für eine Touristenfalle halten. Man hat halt einen guten Blick über den Djemma el Fna und kann prima Sonnenuntergangsfotos schießen. Dass man sich hier mit Service etc. keine große Mühe macht, liegt aber auch vielleicht daran, dass um jeden Tisch vier Personen sitzen, die mit 4 Strohhalmen aus einer Piccoloflasche Wasser nippen.

Als die Rufe der Muezzins den Sonnenuntergang verkündeten, steckte sich einer der Kellner sofort eine Fluppe in den Mund, an der er, begleitet von hektischen Blicken auf seine Armbanduhr, schon geraume Zeit herumnestelte.

Die Tajine mit Rind und Feige, die ich hatte, war übrigens mehr als genießbar.

Den Unterschied zwischen Tanjia und Tajine erläutere ich in meinem demnächst erscheinenden Buch zu diesem Thema.

Der Rest des Abends gehört nun der Dachterrasse des Riad Karmela.

A demain. ?

Euer Gerald

P.S.: Im Salon Jiad wird schlechten Frisuren der Krieg erklärt.

P.P.S.: Und das hätte ich in Marokko auch irgendwie nicht vermutet…

Tag 3: Irrungen und Wirrungen

Marhaba, Ihr Lieben!

Heute bin ich wieder durch die Stadt geirrt, Leuteleuteleute. Das war nicht mehr feierlich. Diesmal haben alle Apps versagt.

Aber gehen wir chronologisch vor: Der Temperatursturz setzte heute früh schon ein, es waren um acht Uhr nurmehr 28 Grad. Ich beschloss, im Laufe des Tages den Wollmarkt zu besuchen, um mich auf die Eiszeit vorzubereiten. Ich kürze hier aber einmal ab: Ich habe ihn nicht gefunden. 🙁
Zumindest erspart mir das jetzt den Online-Strickkurs.

Nach dem Frühstück brach ich erstmal ziellos in eine andere Richtung als gestern auf. Ich lief am Gemüsemarkt vorbei zur Medersa Ben Yousseff, der ehemaligen und auch wegen ihrer Architektur berühmten Koranschule. Zwar stand schon im Reiseführer, dass diese wegen Renovierung geschlossen ist, aber ich dachte, man sieht von außen etwas. Pustekuchen. Da beschloss ich, mal ohne Plan und Navi rumzulaufen.

Die zuene Medersa

Ich kam in immer untouristischere Gebiete, schlich durch Gassen an vielen geschlossenen Läden vorbei, an Schulen, Werkstätten und kleinen Moscheen und landete schließlich auf einer Art Wochenmarkt. Das sieht ein bisschen anderes aus als bei uns. Und es wird alles betatscht und es wird gefeilscht. Ich habe mir vorgestellt, wie meine Poller Marktfrau reagieren würde, wenn ich zuerst jede einzelne ihrer Kartoffeln quetschen würde, um ihr dann zu erklären, die seien zu teuer. 🙂 Auch Ziegenköpfe oder -füße werden wohlfeil gehalten. Auch wurde an einem Stand ein lebendiges Huhn gewogen und dann vor den Augen der Käuferin geschlachtet. Aber das hat ja was ehrliches. Da weiß man, was man isst und wo es herkommt.

Zwei Gemüsehändler spielten zwischen ihren Ständen auf einer behelfsmäßig bemalten Pappe Dame. Spieler 1 mit Karottenscheibchen, Spieler 2 mit Lauchstückchen.

Mit dieser kleinen Tour waren schon wieder zwei Stunden rum. Ich bemühte mich zurück zum Riad und trank dort – denn das muss man angeblich in Marrakesch einmal gemacht haben – einen thé à la menthe. Der hat nun so gar nichts mit unserem Pfefferminztee zu tun. Und ist gezuckert ohne Ende und schmeckt köstlich. Man muss nur aufpassen, dass man sich an der Metallkanne nicht die Pfoten verbrüht, die kommt nämlich direkt von der Herdplatte. Dazu gab es ein bisschen schmackhaftes Gebäck.

Vom Riad aus wollte ich zum Jardin Majorelle, einem Garten, den ein französischer Künstler um 1920 anlegen ließ, der aber im Laufe der Jahre verfiel (der Garten, nicht der Künstler… wobei… ) und von Yves Saint-Laurent und seinem Partner Pierre Bergé ab den 80er-Jahren wieder in Schuss gesetzt wurde. Der Weg dorthin war – gelinde gesagt – eine Katastrophe. Ich verließ mich nämlich auf die Vielzahl meiner Apps. Anstatt mit Umweg drei gerade Straßen entlang zu gehen, empfahlen mir alle eine Art Zick-Zack-Kurs, was dazu führte, dass ich mich hoffnungslos verirrte. Geh mal nach links, wenn Du in einer Sackgasse aus lauter Wänden stehst…. Statt der veranschlagten 30 Minuten brauchte ich anderthalb Stunden bis zum Garten.

Nun. Der Garten ist bestimmt sehr schön. Man bekam zumindest eine Ahnung, was für eine Oase er sein könnte. Leider war er hoffnungslos überlaufen. Und das bei den üblichen 70 Dirham Eintritt. Üblich, weil bisher alles 70 Dirham gekostet hatte. Nur fand ich es hier nicht angebracht. Ich war nach 15 Minuten wieder draußen, weil selbst im Café kein Platz war, man ständig aufgefordert wurde, mal aus dem Bild zu gehen, weil Schatzi vor dem Baum fotografiert werden sollte, wahlweise auch vor dem Teich oder dem Kaktus. Enervierend. Und es ist touristisch nicht besonders voll zur Zeit hier. Da mag man sich gar nicht vorstellen, was los ist, wenn die Stadt gut besucht ist.

Dieses Kobaltblau wird auch Majorelleblau genannt.
Lassen Sie mich durch, ich bin Tourist!

Ich ließ mich dann in der Nähe auf einer Terrasse nieder, um eine Citron pressé zu trinken. Hui. Das war sauer. Machte aber lustig. Hihi. Ich begab mich auf den Weg zu den sieben Heiligen, einer Turmkonstellation am Busbahnhof. Leider traf ich vorher auf den zahnlosen Youssuf. Der sprach sehr gut deutsch und wollte mich unbedingt den Rest des Tages begleiten. Er könne mich in eine Moschee bringen, dann dorthin oder wahlweise auch dahin. Er klebte an mir wie eine Klette. Aber ich war leider schon sehr erschöpft und wollte in meinem Tempo meine Wege gehen. Nix zu machen, alle dezenten Hinweise und später auch die weniger dezenten Hinweise versandeten ungehört. Auf einmal bekam ich einen Rippenkrampf. Das passiert mir ab und zu mal. Da quieke ich und verrenke mich dann ein bisschen, da die wirklich unangenehm sind. Das half dann. „Ohjeh, Du bist krank, dann will ich mal nicht stören…“. Das mache ich jetzt immer.

Die sieben Heiligen.

Mein Weg führte mich zurück Richtung Souks, wo ich die Dachterrasse des Café Árabe aufsuchte. Hier bekommt man nämlich kaltes Bier, wie ich heute früh beim Frühstück herausfand. Und das auch noch mit einer wirklich tollen Aussicht.

Der Kellner baute sich, nachdem ich mein Bier hatte, breitbeinig vor mir auf und fragte mich mit angriffslustigem Ton, wie ich im Ramadan direkt vor ihm Bier trinken könne, das sei eine Unverschämtheit. Ich erwiderte, er könne sich ja umdrehen, dann täte ich es hinter seinem Rücken. Wir haben beide sehr gelacht und sind jetzt ziemlich beste Freunde. Ein wundervoller Ort.

Die Dachterrasse des Café Àrabe. Das Restaurant ist riesig.

Bevor ich zum Riad zurückkehrte, besuchte ich noch das auf dem Weg liegende Musée de Marrakech. In den Google-Bewertungen wird die Qualität dieses Ausstellungsortes sehr kontrovers diskutiert, von Hasspostings bis Nobelpreisforderungen ist alles vertreten. Nunja. Ein bisschen Fotografie, ein bisschen Keramik, ein bisschen Gebrauchskunst, ein bisschen Weberei, ein bisschen moderne Kunst und das Atelier eines Künstlers, der vor Ort seine Bilder verkauft. Alles irgendwie ein bisschen lieblos und unstrukturiert. Und der eigentlich ganz sehenswerte Palast, in dem alles untergekommen ist, ist seit seiner Renovierung vor 20 Jahren schon wieder ein bisschen verfallen. Die Lobeshymnen kommen offensichtlich von Verwandten der Kuratorin.

Und nun sitze ich wieder im Patio des Riads und beobachtete gerade das Eintreffen einer enorm großen Reisegruppe aus zehn jungen Frauen und einem jungen Mann, der der Reiseleiter zu sein scheint. Eine Dame hat das Zimmer direkt am Patio im Erdgeschoss und scheint nicht glücklich damit zu sein. Ich werde das weiter beobachten.

— W E R B U N G — (gleich geht’s weiter)

Djemaa el Fna, die Trockenfruchtabteilung

Nach einer kurzen Unterbrechung jetzt der Rest des Tages in Kurzform. Ich lief kurz vor Sonnenuntergang zur Koutoubiya-Moschee, weil ich dachte, dass sich da zum Fastenbrechen etwas spektakuläres tut. Naja. Da war aber irgendwie nix. Der Muezzin war auch kurz angebunden und dann ging schon der Lärm auf dem großen Platz los. Ich streunte ein bisschen rum, versprach den Ständen 1, 5, 97 und 114 auf jeden Fall bei ihnen zu essen, stritt mich mit einem Straßenhändler, der für ein Plastikteil 10 Euro haben wollte und entschloss mich dann, im L’Adresse zu essen, auf der Terrasse mit Blick auf den Platz. Es gab die Fastenbrechersuppe Harira mit einem Berg von Datteln sowie eine Tanjia Marrakchia, 24 Stunden im Ofen gegartes, butterzartes, aber recht fettiges Lamm mit Zitrone.

Tanjia Marrakchia

Von den Datteln muss man übrigens eine ungerade Zahl essen, denn dann ist das Energie. Eine gerade Zahl bedeutet einfach nur Zucker. Auf meine Frage, wie sich das mit Brotscheiben verhielte, wurde erwidert, da gelte so ein Unsinn natürlich nicht.

Und ich habe Berberaffendresseure gesehen und Schlangenbeschwörer und Geschichtenerzähler und Musikanten. Aber weniger als am Dienstagabend, aber da war ich ja noch viel später da. Die Tierdresseure haben es nicht mehr so leicht wie früher, es hat sich herumgesprochen, dass es den Tieren nicht allzu gut geht und viele Touristen gehen diesen Attraktionen aus dem Weg.

Und gestern noch? Nein, kein Gang mehr zum Djemaa el Fna. Die Beine waren Pudding. Dafür aber mit meinem Roman auf der Dachterrasse gesessen, hinter mir Beschallung durch arabische Schnulzen mit arabischem Rap im Wechsel. CD-Dauer 20 Minuten und auf Endlosschleife gestellt. Plötzlich unmenschliches Gekreische. Unmenschlich? Ja, unmenschlich! Weil es von Katzen kam. Drei waren beteiligt. Ich weiß nicht, ob es um Liebe oder Geld ging, aber solche Laute hatte ich bis gestern noch nicht vernommen. Und das Katzen sooo laut schreien können, ahnte ich bis dato auch noch nicht.

Wenn Ihr mögt, ich wäre dann morgen Abend wieder hier. 😉

Euer Gerald

P.S.: Die unglückliche Dame zieht gerade (Nachtrag: erster Teil des Berichtes) ins andere Riad gegenüber.

P.P.S.: Wenn Ihr mal zu viel Mumpitz übrig haben solltet, dann macht doch einfach einen Humbuger draus!

P.P.P.S: Breaking News!

Immer mehr Marrakechis – auch verschleierte – solidarisieren sich mit den Marrakech Ultras

Tag 2: 1001 mal 1001 Schritte

Salam aleikum, meine Lieben!

Mein Tag startete bei 29 Grad Celsius um 8 Uhr mit einem Frühstück auf der Dachterrasse. Es war alles da, was ich mir wünschte, es gab Kaffee, Milch, frische Früchte, Käse und ein vielleicht marrokanisch zubereitetes Rührei, dessen zweite Hauptzutat ein aromatisches Tomatenpüree war. Ganz lecker. Vor allem der Orangensaft war die Wucht.

Nach dem Frühstück zog ich dann bewaffnet mit diversen Stadtplänen und unter Einsatz mehrerer Apps auf dem Handy los zu meinem Stadtspaziergang. Komoot hatte einen empfohlen, war aber nicht besonders routensicher, so dass ich mich ab und zu dann doch lieber auf die Papierversionen verließ. Mein erster Weg führte vom Riad aus westwärts in die Souks. Dort ließ ich mich treiben. Es war früh, es ist Ramadan, es war fast ausgestorben, jedenfalls im Vergleich zum Trubel gestern Abend.

Auch einige Geschäfte waren noch geschlossen, aber ich sah Ledermacher, Metallbearbeiter, Schuster, Kräuter- und Gewürzhändler und dergleichen mehr. Man wird hier von Geschäftsleuten in der Regel (!) noch einigermaßen dezent bedrängt, da habe ich in den Souks von Hammamet oder Sousse andere Erfahrungen gemacht. Wer hier übertrieben lästig fällt, sind junge Männer, die immer zu wissen glauben, wo man hinmöchte und einen dann führen wollen. Am Anfang redet man ja noch mit denen, aber dann hat man sie für eine gefühlte Stunde an der Backe. Irgendwann ignoriert man sie (das war übrigens der allererste Tipp des Personals aus dem Riad), aber dann reagieren sie unwirsch und verfolgen einen trotzdem. Dazu gleich beim Besuch der Mellah ein anderes Beispiel.

Irgendwann hatte ich mich durchgesoukt und stieß mehr oder weniger zufällig auf den Jardin Secret, den geheimen Garten. Eintritt incl. Turmführung bezahlt und rein. Seeeehr schön! Ich war fast alleine im Garten und ganz alleine mit einem Führer, der alles erläuterte, auf dem Turm, von dem aus man wunderbare Blicke über ganz Marrakesch hat.

Jardin Secret
Blick vom Turm des Jardin Secret auf die Ben Youssef Moschee. Unter einem der Dächer wohnt eine Berühmtheit, aber mehr darf ich nicht verraten….

Inzwischen waren es 33 Grad und ich setzte meinen Weg fort Richtung Koutoubia Moschee. Moscheen sind für Nichtgläubige in Marokko nicht zugänglich, also beschränkt sich die Besichtigung auf die äußeren Anlagen. Die Koutoubya-Moschee gilt als wegweisend für die Architektur in Marokko und den maurisch besetzten Teilen Spaniens. Als prominentestes Beispiel wird immer die Alhambra angeführt.

Ich lief weiter bis zum Tor Bab Agnaou hinter dem sich eine Kasbah und die Gräber der Saadier-Dynastie befinden. Auch hier schien der Besucherandrang eher verhalten, so dass ich eine Eintrittskarte erwarb. Es sind schon prächtige Gräber, aber man hat wirklich nur ein paar Augenblicke Zeit, sie sich anzusehen und zu fotografieren, weil die Schlange hinter einem murrt. Die Gräber sind nämlich nur durch einen Türsturz, unter den maximal zwei Personen passen, zu sehen.

Das Tor Bab Agnaou
Hier ruht die A-Prominenz der Saadier.

Zu der Grabstätte gehört eine kleine Anlage, auf der dann noch weitere Mitglieder des Geschlechts verstreut liegen, aber es handelt sich wohl um unbedeutenderes Fußvolk. Prinz Dritten Grades oder so. Aber sehenswert.

Übrigens scheint der König in der Stadt zu verweilen. Ein Marokkaner erklärte mir, das merke man an der starken Bewachung der königlichen Anlagen, von denen eine um die Ecke liegt, aber nicht zu besichtigen ist.

Inzwischen spürte ich Teile meiner Füße nicht mehr, also umrundete ich noch schnell die Moulay el Yazid-Moschee, um dann in einem Dachrestaurant gegenüber vegetarisch, antialkoholisch und glutenfrei zu speisen. Ja, wenn ich will…. äh…. muss…. dann kann ich auch das. Ich hatte die Variation von sechs typisch marrokanischen Salaten. Einer leider mit zu viel Seifenkraut, aber die anderen fünf sehr lecker. Der Hit: Kürbissalat mit Zimt und Sesam. Zum Reinknien!

Linsen mit Kreuzkümmel, Tomate-Gurke mit hocharomatischer Petersilie, Möhre mit Igitt, Kürbis, Aubergine und Kartoffeln.

Die Gäste wurden übrigens hier wie auch heute Morgen beim Frühstück mit Wasser besprüht, das aus Düsen unter den Pavillons großzügig verteilt wird. Es wird aber sofort und unaufgefordert darauf hingewiesen, dass es gefiltertes Wasser ist. Das hat mich irgendwie an meinen Beruf erinnert. Wahrscheinlich haben sich schon diverse GRSler über diese, wie ich finde, sehr erfrischende Praxis mit Hinweis auf Gesundheitsgefährdung beschwert.

Der nächste Stop gehörte dem Bahia-Palast. Stellenweise musste ich an Istanbuls Topkapi denken, wobei der – soweit ich mich erinnere – noch eine Hausnummer größer ist. Aber Zimmer reiht sich an Zimmer reiht sich an Zimmer reiht sich an Hof reiht sich an…. Is klar, ne? Alles unmöbliert, aber von eleganter Schlichtheit. Ich war am Ausgang versucht, der muffeligen Kassiererin, die ununterbrochen telefonierte, zu sagen: „Ja, okay, ich nehm’s.“

Einer der gefühlten 29172 Höfe des Bahia-Palastes. Aber immerhin der größte.

Die Mellah. Das ehemalige Judenviertel, wo noch immer die Straßennamen an die Vergangenheit erinnern. Hierüber hat Canetti die längste Geschichte in seinen „Stimmen von Marrakesch“ hinterlassen. Sehr ergreifend und von morbidem Zauber und bedrohlich faszinierend sind seine Schilderungen. Es lebten einmal zehntausende Juden in diesem Ghetto. Auch, als Canetti in den 1950er Jahren dort war waren es noch tausende. Nach den arabisch-jüdischen Kriegen (Jom Kippur, 6 Tage) verließen aber fast alle Juden Marrakesch. Es existiert nur noch eine winzige Gemeinde und die Mellah ist heute von muslimischen Marrokanern bewohnt. Ich wollte trotzdem unbedingt in dieses Viertel.

Kurz hinter dem Palast bot sich sofort ein junger Mann namens Mansour an, mir die Mellah zu zeigen. Nein, er wolle kein Geld, er wolle nur sein französisch trainieren. Okay, wir parlierten. Er als Victor Hugo und ich als … naja, wie Oettinger auf englisch halt. Er erläuterte auch ein paar belanglose Dinge, erzählte etwas von Türen und Straßen und Mohammed dem Sechsten und dass er einen ganz tollen Markt kenne, der nur einmal die Woche, da würde er jetzt gerne, ich hätte doch nichts dagegen, ja? Schwups landeten wir in einem Kräuterladen, wo er mich fast zwang, alles einmal anzufassen. Huch, dann musste er auf einmal gehen, ich musste einen Tee trinken und da ich den lecker fand wurde direkt ein Tütchen für mich fertig gemacht, „nur zwei Dirham pro Gramm, ein Witz!“ und in die Hand gedrückt. „Das macht dann 28 Euro!“. Ich tat, was man unter solchen Umständen machen muss: Ich verließ fluchtartig unter arabischen und französischen Verwünschungen den Laden – kann man im Internet lernen – und ignorierte die Gegenflüche. Aber ehrlich: Für ein paar Blätter 200 Euro! pro Kilogramm? Den Rest des Tages reagierte ich auf Escort-Service-Angebote etwas ungehalten, was mir leider nicht viele Sympathien einbrachte. Aber die netten Begegnungen überwiegen deutlich!

Die schicke Mellah
Die nicht ganz so schicke Mellah

Die Synagoge war dann unprächtig und dient heute wohl eher als Museum. Ich machte mich auf zum jüdischen Friedhof. Eine triste Stätte. Leider weiß ich so gar nichts über die jüdische Begräbniskultur, aber Schmuck und Blümchen gehören wohl nicht dazu.

Der jüdische Friedhof

Inzwischen waren mein Hirn hirntot und die Füße fußtot. Zu viele Eindrücke, zu viele Schritte. Ich wankte zurück ins Riad – nicht ohne mindestens 3 weitere Begleiter abzuwimmeln, legte mich eine Stunde hin (und ich schwöre, dass es Plopp machte, als ich die Schuhe auszog!) und sitze jetzt im lauschigen Innenhof bei einem halbkalten Bier. Um 16 Uhr waren es 41 Grad Celsius.

Ob ich es heute Abend noch einmal zum Djemaa el Fna schaffe? Ich weiß es nicht.

Schaltet also morgen wieder ein, wenn dieses Rätsel gelöst wird.

Euer Gerald

P.S.: Für Elke…

Schau mal Mutti, ein Esel, ein Esel. (V.v.Bülow)

P.P.S.: In einem Fundouk war ich ja auch noch! Das ist so eine Karawanserei, die inzwischen fast alle zweckentfremdet sind. Hier hat mich zum Beispiel ein sehr netter Zeitgenosse hingelotst. Er sagte einfach, es sei sehenswert und er ließe mich in Ruhe. Und das war es auch. Und das tat er auch.

Eine zum Haus der Künstler umfunktionierte Karawanserei.

Tag 1: Und was für ein erster Tag

Bon soir, mes chéres!

Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Vielleicht bei der der Anreise? Ich brach seeeehr früh auf, weil ich ja immer ein kleines Nervöschen bin, wenn es um Anschlüsse geht, die mir wichtig sind. Aber so konnte ich schon einen IC früher nehmen als geplant, war quasi erster in der Schlange der Condor-Reisenden, konnte den Frankfurter Flughafen mal wieder erkunden und sogar noch ein kleines Schläfchen halten.

Einen netten Schrecken hatte ich zuvor aber noch, als mein Handy nach der Sicherheitskontrolle weg war. Es hatte jemand irrtümlich an sich genommen und es war auch stante pede wieder da. Aber ich hatte einen kleinen Schweißausbruch!

Irgendwann füllte sich der Warteraum und es deutete sich schon da an, dass der Flieger brechend voll würde. Highlights waren der Zaubertrick mit den verschwundenen Zeitungen (kaum, dass ein Mitarbeiter das Regal im Wartebereich aufgefüllt hatte, war es auch schon wieder leer, weil es ja umsonst war; man nahm dann auch gerne von jedem Exemplar eins mit) und die Stimme, die nicht gehört werden wollte („Zuerst die Familien mit Kindern und Personen, die Unterstützung benötigen…“: Trampel, quetsch, kreisch!).

Der Flug war okay, die Passkontrolle und die Gepäckausgabe waren es auch. Mit der Santander-Kreditkarte versuchte ich dann an drei Automaten, Geld zu ziehen, leider vergeblich. Die Schweißperlen tanzten wieder Samba. Dann stand uns der Transfer bevor, von dem ich ja schon vorher wusste, dass er ewig dauern würde. Es war dann übrigens noch eine Stunde mehr als ewig, denn quasi der halbe Flieger hatte diesen Transfer, fünf oder sechs Busse! Aber dafür hat man viel von der marokkanischen Landschaft zwischen Agadir und Marrakesch gesehen. Alles sehr rot und mal mehr und dann mal weniger bewachsen. Kaum bewohnt, tausende von Ziegen, ein paar Bienenstöcke und ein halbes Dutzend Esel.

Einen Stausee gab es, ganz zu Anfang wohl eine Art Palast (man sah aber nur die kilometerlange Umfriedung), ein Gefängnis mitten in der Wüste, dass sehr an den Kölner Klingelpütz erinnerte und ein paar verfallene Häuser. Zwischendurch hatten wir eine kurze Rast, an der sich die Horde mit Eis eindeckte. Ich hatte mangels Geld dann leider Ramadan, wie der Rest von Marokko ja übrigens auch, zumindest der gläubige Rest. Hab mich dann kurz mit ein paar streunenden Hunden angefreundet, die dann aber leider nicht mehr von meiner Seite wichen. Ich überlegte schon, wie ich dem Busfahrer vier weitere Passagiere erkläre, da retteten mich zwei kichernde Teenies, die im Gegensatz zu mir etwas zu essen hatten. Umgehend war ich uninteressant.

Irgendwann hielt der Bus in Marrakesch in einer unentwickelten Gegend an und bugsierte einen Großteil der Passagiere in ein eigentlich ganz luxeriös anmutendes Großhotel. Aber jwd und nicht schön gelegen. Alle anderen Passagiere mussten die Busse wechseln, außer vier Damen und ich. Die großen Gruppen hatten alle irgendeine Rundreise gebucht und somit wohl keinen Einfluss auf das Hotel. In Citynähe hielten wir dann an einem Hotel der gleichen Kette, allerdings an einem Prachtboulevard. Dort wurde ich zum Essen eingeladen, da der persönliche Fahrer für mein Riad noch beim Fastenbrechen war (der Busfahrer hielt übrigens auch kurz nach Sonnenuntergang an und bekam von Straßenhändlern einen Ayran oder etwas ähnliches ausgegeben).

Auch über dieses Hotel hätte ich mich nicht gefreut. Die Lage war zwar wesentlich besser, aber das Buffet war seeeehr, seeeehr traurig. Das Bier – immerhin! – kostete mich dann 5 Euro.

Irgendwann tauchte mein Fahrer auf, der mich in die Nähe der Souks brachte. Er wurde von einem Fahrradfahrer abgelöst, der seinen Drahtesel schiebend tiefer mit mir in die Altstadt eindrang. Dort wurde ich einem Mann im Kaftan übergeben, der mich dann ins Riad brachte. Abenteuerlich!

Das Riad ist so, wie ich es mir gewünscht habe. Sehr ursprünglich, sehr orientalisch und ganz toll dekoriert. Die Mitarbeiter hier sind herzzerreißend herzlich, wie übrigens alle vom Flughafen über Bus und Taxi bis hierher. Mir wurden beim Willkommensbier das Riad und die Umgebung erklärt und dann bekam ich mein Zimmer. „Aicha“ heißt es und ist schlicht, aber ganz bezaubernd. Verwinkelt und ein bisschen märchenhaft. Also. Ich kann jedem nur empfehlen, auf die großen Ketten zu verzichten und sich so eine Altstadtunterkunft zu suchen.

Blick vom Riad Karmela auf die Altstadt

Nach einer kurzen Katzenwäsche lief ich dann zum Djemaa el Fna, es war inzwischen 21 Uhr 30. Leute. Diesen Trubel könnt Ihr Euch nicht vorstellen. Schon auf dem Weg dahin Menschenmassen. Alle Läden auf, Mofas pesen durch die Gassen, Handkarren werden geschoben, dann dieses Polster aus arabischen Lauten und Gerüchen, Garküchen, Barbiere, Klamotten, Bäckereien, Korbflechter. Nur wenige Touristen und auch wenig Kitsch in diesen Gassen.

Die Souks

Dann kommt man auf einen Platz und denkt „WOW, wat groß!“ Dann biegt man um eine Ecke und denkt „Ach Du Hacke!“ Dann erst ist man wirklich auf dem Platz der Gehenkten. Da ist was los. Und auch mehr Touristen und auch mehr Kitsch, aber dafür Geschichtenerzähler, Sänger, Akrobaten, Künstler….

Oha…

Aber das war mir dann zu viel und nach einem kurzen Erkundungsrundgang und erfolgreicher – YIPPIEH! – Bargeldabhebung irrte ich zurück ins Riad, wo ich jetzt im Innenhof bei einem Glas Rosé sitze und dies schreibe. Ja, liebe Lästerdokos, Euer „griechisches Orakel“, ich würde hier auf dem trockenen sitzen…. (Insider!) 🙂

Ohaaaaaa!

Der Djemaa el Fna wird definitiv noch genauer beleuchtet. Und auch ein paar andere Sehenswürdigkeiten sind schon gesetzt, wie der Jardin Secret oder die Mellah. Ich fürchte, die Zeit wird nicht reichen.

Auf jeden Fall ist Marrakesch auf den ersten Eindruck völlig anders, als ich nach Besuchen von Tunesien und Ägypten vermutet habe. Allerdings war ich da auch nur begleitet in Tunis und Kairo, vielleicht finde ich das deswegen gerade abenteuerlich hier. Mir gefällt es bisher auf jeden Fall sehr gut. Und ich musste schon oft an Canetti denken, der mich ja irgendwie hierher getrieben hat.

Morgen gibt es dann, wenn Ihr wollt, mehr aus 1001 Nacht. 😉

Euer Gerald, der zwar immer noch kränkelt, dem es hier aber viel mehr Spaß macht, zu kränkeln.

Nur für Elke:

P.S.: Wie ich bloß den Temperatursturz am Freitag überstehen soll….?