Tag 18 – Santiago de Cuba: Geschichts- und Geschichtenstunde

Ihr Lieben,

die Nacht über war Karneval auf dem Céspedes-Platz. Klar, Wochenende und dann zentraler Platz, was kann man da erwarten? Aber mein Oropax reicht völlig. Leider fing der Abfluss im Hotelzimmer an, streng zu riechen, das störte mehr als ein wenig. Ike, weißt Du noch, Türkei 1996? Zweimal bin ich aufgestanden, um da Seifenwasser einlaufen zu lassen. Danach war es erträglich.

Das Frühstück war dann eigentlich schon Aufregung genug für einen Tag. Ein paar verlorene Gäste saßen da nichtsahnend versprenkelt auf der Dachterrasse, als es plötzlich verbrannt roch, ein Frühstücksgast unter dem entsetzten Gekreische seiner Begleitung plötzlich wie von der Tarantel gestochen zum Büfett rannte, um dort die Zuleitung des Toastgerätes aus der brennenden Steckdose zu ziehen, die aber munter weiterbrannte. Mit dem Eierkoch zusammen konnte er den Brand löschen. Der Held des Tages, nur nicht in Augen seiner Frau, die noch eine Weile schwer rumkrakeelte. Man muss es einfach mal sagen: Auch halbwegs hochglänzendes, wie das Hotel, ist auf Kuba marode. Und ich wohne in der vierten Etage; ich muss dringend später noch einmal die Fluchtpläne studieren.

Etwas außerhalb von Santiago gibt es eine geschichtsträchtige Befestigungsanlage, das Castillo de San Pedro de la Roca del Morro. 1638 war Baubeginn, es wurde über die Jahre laufend erweitert. Die Festung diente als Schutz vor Angriffen, als Gefängnis, Folter- und Hinrichtungsstätte. Mit wechselnden Akteuren. Wie hinkommen? Vor dem Hotel lungerten die üblichen Verdächtigen herum, die einen belatschern, sobald man die letzte Treppenstufe hinter sich gelassen hat. Man (das war aber nicht der Fahrer) bot mir Hin- und Rückfahrt für 25 Euro an. Das schien mir okay und ich pflanzte mich in einen maroden 53 Chevy (zwischen Bodenblech und Popo gerade mal 2 Zentimeter), als sich der Vermittler hinten reinsetzte, was dem Fahrer nicht passte. Die beiden fingen lauthals an, zu diskutieren. Ein dritter Mann stürmte von vorne dazu und schrie, man habe mich ihm geklaut. Das allgemeine Durcheinander nutzte eine alte Frau, die sich in das Beifahrerfenster hängte und Geld verlangte. Mit ihr im Fenster konnte ich die Tür nicht öffnen. Ihr glaubt, ich spinne? Ja, das dachte ich dann auch.

Die Frau wurde ich los, indem ich ihr einen Dollar in die Hand drückte, dann stieg ich aus und ging. Alle hinter mir her. Ich wurde laut und sagte, ich würde doch nicht mit einem Haufen Irrer meine Zeit verplempern. Der Fahrer sagte, nur wir beide, der Vermittler wollte noch Geld. Zwei Dollar. Die Fahrt zum Kastell war dann auch prima, der Besuch ist absolut lohnenswert. Die üblichen Erklärhasen vor Ort erklären, ob Du willst oder nicht, aber was machen jetzt zwei Dollar mehr aus? Die Fotografiererlaubnis ist fast teurer!

Wenn Ihr Gelegenheit habt, schaut es Euch an, es liegt wunderschön und ist super erhalten. Von dort aus bot mir der Fahrer an, einen Stopp am Zentralfriedhof Santa Ifigenia zu machen. Ja, klar, liegt ja quasi auf dem Weg. Wir kamen an, ich stieg aus und er meinte, das wird jetzt aber deutlich teurer. Ich so: Es liegt auf dem Weg, aber die Wartezeit bezahle ich und wenn Sie mich auch noch zur Kaserne des 26. Juli fahren bekommen sie insgesamt 40 Euro. Er machte die totale Szene, das sei viel zu wenig (um zu begreifen, dass er völlig absurde Forderungen stellte, müsstet Ihr Euch jetzt den Stadtplan ansehen). Ich wurde auch laut und bezahlte die vereinbarten 25 Euro. Wir standen in einem Kreis anderer Taxistas und er forderte mehr und die anderen rückten näher. Ich warf noch 5 Euro hin und stand dann irgendwo im Nirgendwo. So ein Arschloch.

Der Friedhof aber ist der Hammer. Alle 30 Minuten gibt es den beeindruckenden Wachwechsel vor dem ebenfalls beeindruckenden Mausoleum von José Martí, den konnte ich zweimal verfolgen. Dann darf man da auch nicht einfach so rumlaufen, es ist eine fast heilige Zeremonie. Martí ist DER Nationalheld Kubas. Fast schlicht ist der Grabstein von Fidel Castro, der sich vor den Grabstätten anderer Nationalhelden in bescheidene Szene setzt. Nur ein Wort ziert ihn: Fidel. Compay Segundo und Emilio Bacardí haben auch ihre letzte Ruhestätte dort. Sehr, sehr sehenswert, insbesondere halt auch die Zeremonie!

Jetzt stand ich da in der Pampa. Aber ich habe ja, wie eine Mitwanderin auf Madeira einst bemerkte, erstaunlich stramme Waden (gut, ist auch schon wieder eine Weile her). Ich lief in der Mittagshitze einfach zum Platz der Revolution, jo, abgehakt, und von dort aus zur Moncada-Kaserne, die am 26. Juli von Fidel und seinen Mitstreitern eingenommen werden wollte. Das lief alles kolossal schief, wie man nachlesen kann. Viele Aufständische starben, Fidel konnte fliehen, wurde aber kurze Zeit später verhaftet. Um dann geraume Zeit später im Rahmen einer Generalamnestie wieder entlassen zu werden. Ein Historiker bemerkte dazu einmal: „Eine der fatalsten Fehlentscheidungen des Diktators Batista!“. Leider war ich zu spät für das Museum, es soll sehr eindrucksvoll sein.

Zwischen Revolutionsplatz und Kaserne kreisten wieder Greifvögel über mir und ich begann, zu debirieren. Gottseidank gab es auf dem Weg eine Bar mit schattiger Terrasse, wo ich für 120 Pesos einen Krug Gerstensaft bekam. Die Vororte haben was. Nach weiteren 2 Kilometern war ich dann wieder im Zentrum. Als ich mich die Hoteltreppe hochschleppte, rief von hinten der „Vermittler“, wie es mir, Amigo, denn ginge, hach, einfach toll, diese Deutschen. Da bin ich mal leider laut geworden. Wo er sich seinen Amigo hinstecken könne, er und seine Bande seien Gauner und Betrüger. Die ganze Gruppe war mega aufgeregt. Das könne nicht sein, man kläre das sofort, ich solle mal mitkommen. Was ich natürlich nicht tat. Ich nahm aber einen Cocktail (den einzigen, den es gab) auf der unteren Terrasse des Hotels ein und jedesmal, wenn die Bande Leute ansprach, rief ich runter, lasst es, die betrügen. Das hat mir ein bisschen Genugtuung bereitet.

Ich hatte ausreichend Kilometer gesammelt, wie ich fand, beschloss, es mit weiteren Besichtigungen gut sein zu lassen, und besuchte meine merkwürdige Barterrasse von gestern wieder. Zu meinem Erstaunen gab es Piña Colada. Ein Wunder, bemerkte ich und die Thekenmannschaft lachte sich schlapp und wiederholte „Un milagro, un milagro!“. Schmeckte zwar mehr wie verdünnter Eierlikör, aber ich will mal nicht so pedantisch sein (warste aber grad!).

Ich lief die Enramadas hoch, auf der Suche nach einem Restaurant, das mir in einer Facebook-Gruppe empfohlen wurde. St. Pauli heißt es. Auf dem Weg dahin sprach mich jemand an. Er habe von meinem Problem mit dem Fahrer heute gehört. WHAT? Bin ich jetzt Legende, oder was? Das sei natürlich Mist gewesen, für morgen würde er mir einen tollen Ausflug… Leider hatte ich mich überhaupt nicht im Griff und rastete total aus. Tut mir im Nachhinein fast leid. Ich schrie zwar, aber immerhin mit bitte: „Dejame en paz, por favor! No los necesito, ladrones.“

St. Pauli? Jetzt mal im Ernst, das klingt doch mehr nach Bierkönig, als nach allem anderen… Aber als alter Hamburger konnte ich es ja nun auch nicht links liegen lassen. Fast erwartete ich, Astra zu bekommen. Aber es war dann doch Cristal. Es ist wohl tatsächlich eher ein Nachtclub, dann aber andere Etage, das werde ich leider (oooohhh) verpassen. Aber es gibt hier alles, was auf der Karte steht! Alles etwas teurer, aber eben alles! Ich bestellte Langusten und Salat. Das war soooo lecker!

Also, bis auf das Ärgernis mit diesem Betrüger war das ein lehrreicher und schöner Tag.

Morgen wird ne Katastrophe. Ich muss um 12 Uhr aus dem Hotel raus, mein Bus fährt aber erst um 19 Uhr irgendwas. Und dann 15 bis 16 Stunden (geplant). Ich habe die letzten Tage versucht, doch noch einen Flug zu buchen. Vergeblich, ich soll/muss, so der Cuba Travel-Mitarbeiter, morgen früh noch einmal im Air Cubana-Büro vorstellig werden. Ich habe wenig Hoffnung.

Drückt mal die Daumen, Ihr Lieben. Wir lesen uns möglicherweise erst in Havanna wieder.

Liebe Grüße, Euer Gerry

Santiago wird auch „Stadt der Helden“ genannt.

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